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DIE LITERATURAUSGABE 2014

Geschichte

In letzter Zeit treffe ich Troy ständig irgendwo. Ich versuche oft, seinen Blick zu erhaschen, aber er sieht mich nie an.

In letzter Zeit treffe ich Troy ständig irgendwo. Ich sah ihn im Whole Foods, wo er an Sommerfrüchten rumdrückte. An einem alkoholtrunkenen Abend wiegte ich mich bei einem Wilco-Konzert am Strand neben ihm. Sein Haar glänzte silbern im Mondlicht und seine Haut war so weiß wie das Innere einer Muschel. Ich versuche oft, seinen Blick zu erhaschen, aber er sieht mich nie an. Er ist sogar schon in den Buchladen gekommen, in dem ich gelegentlich arbeite. Er blättert durch Biografien und spirituelle Bücher und trägt dabei ein Flanellhemd und eine Jeans mit fürs Radfahren hochgekrempelten Hosenbeinen. Ich arbeite immer noch in dem Buchladen, obwohl ich mit Patrick ausgehe, der mehr Geld macht, als Troy es je getan hat oder tun wird. Patrick lebt in einem großen Haus direkt am Wasser. In sanften Nächten kannst du die Wellen im Ozean vor Santa Monica in jedem seiner Zimmer hören.

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***

Ich arbeite seit vier Jahren in dem unabhängigen Buchladen an der Ecke Wilshire Boulevard/Ocean Ave. Den Laden gibt es schon seit fast 45 Jahren. Der Besitzer, Dennis, ist ein älterer Schwuler, der in einem kleinen Apartment über dem Laden wohnt und mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit angräbt. Während des Vietnamkriegs übernahm seine damalige Frau Mavis den Laden, als er zur Navy eingezogen wurde. Nachdem er wiedergekommen war, lebten sie noch einmal drei Jahre zusammen, bevor er ihr die Wahrheit erzählte. Danach zog Mavis mit einem jüdischen Mann nach Miami Beach und gründete eine Familie. Sie schickt jedes Jahr eine Weihnachtskarte, die Dennis während der Feiertage stolz neben seiner Kasse aufstellt. Auf den Bildern ist sie von einer großen Anzahl erwachsener Kinder und zahnlückiger Enkelkinder umringt, seit Neuestem auch von einem Großenkel. Er liebt es, sie den Kunden zu zeigen, aber mir kommt das Ganze irgendwie passiv aggressiv vor, was ich ihm auch sage—als würde sie ihn nach all den Jahren immer noch bestrafen, denn auf den Fotos, die er ihr zurückschickt, ist Dennis immer allein. Aber das empfinde vielleicht nur ich so, dass allein zu sein im Alter eine Strafe ist. Ich weiß, dass es falsch ist, so zu denken. Man muss sich nur Dennis ansehen.

***

Vor ein paar Wochen teilte uns Dennis mit, dass die Miete des Ladens erhöht worden wäre. Er schloss an diesem Abend früher und nahm Madison und mich mit zum Pier. Er kaufte jedem von uns ein Wassereis, bevor er die schlechte Nachricht verkündete. Wir standen in dem warmen Sand und sahen zu, wie Vögel über das Wasser glitten. „Ich kann es mir einfach nicht mehr leisten“, sagte er. „Es ist einfach zu viel Geld, Kinder.“ Dann fing er an zu weinen. Er legte seine Hand auf mein Handgelenk und seinen Kopf an meine Schulter. Madison und ich versuchten, ihn zu trösten. Sie wischte ihm eine Träne aus dem Auge. Als er schließlich aufhörte zu schluchzen, war die Sonne nur noch eine orange Narbe am Horizont. Am Himmel war schon ein dünner Schleier Sterne zu sehen. Madison und ich brachten Dennis an diesem Abend nach Hause. Wir verabschiedeten uns an der Tür und sahen ihm durch die Bücher in der Schaufensterauslage hindurch zu, wie er langsam die Treppe am hinteren Ende des Ladens hinaufging. Madison arbeitete fast schon so lange wie ich in dem Laden und hatte die ganze Zeit über denselben Haarschnitt: einen wasserstoffblonden Bob, den sie sich eng an die Kopfhaut gelte. Bei unseren Halloween-Feiern, zu denen wir uns verkleideten und gruselige Lesungen veranstalteten, wählte sie ihren Charakter nach ihrem Haarschnitt aus: Tinker Bell, Daisy Buchanan aus Der große Gatsby, Maria von Trapp aus The Sound of Music mit winzigen Kinderfiguren der Trappfamilie aus Papier, die sie an ihrem Rock festnähte. „Was denkst du denn?“, fragte sie mich, nachdem Dennis verschwunden war. „Nichts zu machen, schätze ich“, sagte ich. „Du hast gut reden“, sagte sie. Sie stieß mich unerwartet hart in die Rippen. „Patrick wird schon aufpassen, dass dir nichts passiert. Wir haben nicht alle so ein Glück wie du, Mister“, sagte sie.

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Als ich nach Hause kam, war es fast neun und Patrick war schon im Bett, sein MacBook auf dem Schoß und ein paar Kopfhörer um den Hals. Ein Glas Wein stand auf dem Klavier am anderen Ende des Raums. Er komponierte. Ich zog mich bis auf die Unterhose aus, schlüpfte zu ihm unter die Laken und legte meine Arme um seinen schlanken, braunen Körper. Die Terrassentür stand ganz offen und ich hörte, wie die Wellen unter uns ans Ufer klatschten und der Wind in den Palmen säuselte. Patrick ist 40, 17 Jahre älter als ich. Um seine Schläfen wellen sich weiße Haarbüschel wie Spinnweben. Er hat Musik für Fernsehserien und kleinere Filme für die DVD-Direktvermarktung geschrieben, obwohl er eigentlich davon träumt, für einen richtig großen Film zu schreiben. Im Moment arbeitet er für eine erfolgreiche Zombie- Serie mit Kate Mara, die auf FX Networks läuft. „Du wirst nicht glauben, was unser Chef uns heute erzählt hat“, sagte ich.

Mein Kopf lag auf Patricks Bauch, und ich flüsterte ihm die Worte direkt in den Brustkorb. Ich fühlte, wie mein Atem seine Haut erwärmte. Ich erzählte ihm, dass der Laden schließen würde. Patrick tippte weiter auf seinem Laptop herum. „Er kann die Miete nicht mehr bezahlen“, sagte ich. „Der Kerl tut mir leid. Kannst du dir vorstellen, alles zu verlieren, wofür du so lange gearbeitet hast, einfach so? Er hat ja sonst nicht gerade viel. Ist das nicht traurig?“ „Na ja, es ist ja nicht deine Schuld“, sagte Patrick. „Und außerdem, was weißt du schon übers Arbeiten?“ Er klang irritiert, als er das sagte, aber auf so übertriebene Weise, dass er notfalls behaupten konnte, er hätte nur Spaß gemacht. Als ich ihn zweifelnd ansah, küsste er mich auf die Stirn, und ich hörte noch einmal Madisons Stimme in meinem Ohr, wie sie sagte: Du hast leicht reden. „Ich weiß schon. Ich sag ja nur. Es ist seltsam. Ich dachte, der Laden liefe so gut.“ Ich spielte mit dem Büschel schwarzer Haare, das aus Patricks gestreiften Boxershorts hervorlugte. Auf seinem Bildschirm stapelten sich Musikbalken unterschiedlicher Länge übereinander und erinnerten mich an lange, leere Bücherregale. „Aber ist es nicht traurig?“, sagte ich schließlich noch einmal. „Ja. Es ist traurig, okay? Das ist es wirklich. Aber ich arbeite gerade, und ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Er schob mich von seinem Bauch und setzte die Kopfhörer auf.

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So ist das mit Patrick. Seine Laune kann jede Minute kippen, besonders, wenn er komponiert. Manchmal ist es so, als würde man versuchen, sich in einem sehr großen, sehr dunklen Haus zurechtzufinden. Du läufst blind durch das Haus, die Arme suchend vor dir ausgestreckt, um einen Ausgang zu finden. Aber dann stößt du gegen eine Wand—ups, wieder das Falsche gesagt—und dann läufst du gegen einen Stuhl—auch wieder was Falsches gesagt—bis du schließlich das Loch in der Wand findest, eine Tür, durch die man gehen kann, einen Weg nach draußen. Aber an diesem Abend war ich zu müde, um die Tür zu suchen. Also drehte ich mich um und schlief stattdessen ein. In dieser Nacht hatte ich einen Traum von Troy, dem Typen, auf den ich stand. Wir fuhren durch die Wüste, unsere Haut war mit Dreck und Staub bedeckt und wir lachten. Wir überquerten eine Brücke über einen wilden Fluss mit großen, rauschenden Wellen. Wir hielten dort an und stiegen aus, um über das Geländer zu schauen. Das Sonnenlicht spiegelte sich auf der Wasseroberfläche, es brannte immer heller, wie der Blitz einer Explosion, bis ich Troy irgendwann nicht mehr sehen konnte und alleine war. Als ich aufwachte, dachte ich kurz, der Körper neben mir sei Troys.

***

Am nächsten Morgen stand ich früh auf, um zur Arbeit zu gehen. Normalerweise machte es Dennis nichts aus, wenn ich ein oder zwei Stunden zu spät erschien, also tat ich das meistens. Wenn ich um elf statt um neun ankam, hinter mir eine Spur aus Sand, als wäre ich nur für ein Schwätzchen hereingeschneit, gab er mir nur einen Klaps auf den Po und sagte: „Welchem glücklichen Umstand verdanken wir denn diese Ehre, Sonnenschein?“ Aber an diesem Morgen wollte ich rechtzeitig da sein. Patrick war schon ins Studio verschwunden, um mit dem Orchester Aufnahmen zu machen. Ich ging durch die Hintertür hinaus, die direkt zum Strand führte. Ich sah ein paar Surfer, die sich in die Fluten des Meeres warfen, einkühles, blaues Band, das sich meilenweit ohne Unterbrechung am Horizont erstreckte.

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Auf dem Weg kam ich an Radfahrern und Müttern mit Kinderwägen vorbei. Als ich im Laden ankam, schlug sich Dennis in gespielter (oder echter) Überraschung die Hand gegen die Stirn, als könne er gar nicht glauben, mich hier zu sehen. Madison runzelte in ihrer Ecke die Stirn. Ich lächelte nur. Ich war an diesem Tag damit dran, die gebrauchten Bücher, die Kunden zum Verkaufen vorbeibrachten, anzunehmen, also ging ich zu meiner Station am hinteren Ende des Ladens und stellte mich wortlos hinter den großen Eichentisch. Ich mag Bücher. Ich mag es, wie die Farben der Buchrücken aus der Ferne miteinander verschmelzen, wie ein verschmierter Sonnenuntergang am Meer. Ich mag es, wie ein Buch deine Meinung von jemandem in einer einzigen Sekunde ändern kann, wenn du denkst, du wüsstest schon allein aufgrund des Aussehens von jemandem genau, wie er oder sie ist, und dann, peng, ist alles anders.

Ich kann euch nicht sagen, wie oft ich schon stramme, gebräunte Surfer an einer Palme habe lehnen sehen mit einer Ausgabe von An die Hölle verraten oder Rot und Schwarz vor dem Gesicht. An diesem Morgen kam ein großes, blondes Mädchen, deren Brüste aus ihrem Bikinioberteil quollen, herein. Sie zog mehrere Hardcover-Bücher aus ihrem tarnfarbenen Rucksack. Sie sahen noch völlig ungelesen aus. Ich blätterte sie durch. Auf der Titelseite eines jeden Buches stand eine handschriftliche Widmung in geschwungener, langer Kursivschrift: „Für Kate—Ich glaube, das wird dir gefallen. Ich hab dich lieb, Dad.“ Anscheinend nicht, dachte ich.

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Nachdem ich den Wert der Bücher in Gutscheinen und Bargeld zusammengerechnet hatte, winkte ich Dennis von der anderen Seite des Ladens herüber, damit er einen letzten Blick darauf werfen konnte. Er blätterte noch ein letztes Mal vorsichtig durch die Bücher und sagte dann: „Wir bieten leider kein Bargeld mehr für Bücher an, nur noch Gutscheine.“ Er fuhr sich mit der Hand über die Kopfhaut. Das blonde Mädchen warf uns einen finsteren Blick zu. Sie zeigte auf das rot-weiße Schild im Schaufenster. „Da steht Bargeld“, sagte sie. „Nun, wir haben es gerade geändert.“ „Dann müssen Sie aber auch das Schild abhängen.“ Sie starrte uns an. Wir starrten sie an. „Dann nehme ich sie wieder mit“, sagte das Mädchen schließlich entschlossen.

Sie stopfte die Bücher wieder in den Rucksack und ging. „Geld kommt jetzt nur noch rein“, sagte Dennis, nachdem sie weg war. Er zeigte mit dem Finger auf den Boden, um zu betonen, dass der Laden gemeint war. „Es geht hier nicht mehr raus.“ Dennis ging zum Schaufenster und riss das Schild herunter. Er zerrte es quer durch den Laden und dann die Treppe zu seiner Wohnung hinauf, die er auch als Warenlager nutzte. Es hatte etwas von einem trotzigen Kind, wie er das Schild, gleich einer Puppe oder einem Teddy, hinter sich herzog.

Während er noch weg war, kam Madison zu mir und sagte: „Ich habe letzte Nacht nachgedacht. Ich habe eine Idee.“ „Eine Idee wofür?“, fragte ich. Sie zog genervt die Lippe hoch. „Na, wofür wohl? Wie wir Dennis helfen können, den Laden zu retten.“ Madison und ich waren nie enge Freunde gewesen. In ihrer Stimme liegt immer ein schneidender Ton, der klingt, als könne er kalten Stahl zerteilen. Aber sie ist sehr gut mit Troy befreundet, also bemühe ich mich, nett zu ihr zu sein. „Wir sollten eine Benefiz-Party machen“, sagte sie. „So was, wo die Leute kommen und Dennis Geld für den Laden spenden. Wie eine dieser Fernsehbenefizshows auf PBS. Wir brauchen nur ein paar wenige Leute mit ordentlich Geld und dann ist Dennis wieder ein paar Monate aus dem Ärgsten raus.“

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So, wie sie es sagte, wusste ich, dass sie erwartete, dass Patrick kommen und ordentlich was springen lassen würde. „Und was passiert danach?“, fragte ich sie. Ich meinte das ernst, obwohl mir auch klar war, dass es die Art Frage war, die sie nerven würde. „Ich weiß nicht, was danach passiert. Wir überlegen uns was Längerfristiges. Aber für den Moment fällt mir nichts Besseres ein, es sei denn, du hast irgendeine tolle Idee.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Also okay. Vielleicht machen wir eine Lesung oder so etwas“, sagte sie. „Und dann reichen wir einen Hut herum wie in der Kirche?“, fragte ich. Sie ignorierte mich. „Irgendwas, das den Leuten zeigt, dass dieser Laden erhalten werden muss“, sagte sie. „Ich meine, komm schon, dieser Laden hat Geschichte.“

***

Der Buchladen hatte über die Jahre zahllose berühmte Stammkunden gehabt. An seinen Wänden hingen Fotos von Dennis mit Ikonen der Literatur und anderen Stars und Sternchen—die Art Fotos, die man in dunklen italienischen Restaurants oder hinter den Bars von Kinos sah: Dennis Arm in Arm mit Allen Ginsberg, Dennis, lachend mit Lisa Kudrow, Dennis mit ernster Miene neben Gore Vidal. Es gibt sogar ein Bild, auf dem Roy Schneider zwischen Dennis und Mavis steht und eine Kopie von Der weiße Hai in die Kamera hält. Ich habe ihm gesagt, dass er das abhängen sollte. Dennis sieht auf jedem Bild anders aus, aber doch irgendwie gleich. Ich glaube, es ist sein Lächeln. Sein Körper hängt mit den Jahren immer mehr und anders an ihm herab, sein Haar wird dünner, aber sein Lächeln ändert sich nicht.

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Gegen Mittag, zwei oder drei Tage nach der Lagebesprechung mit Madison—es war ein Freitag—wollte ich gerade losziehen, um mir an der Promenade einen Smoothie zu holen. Ich hatte die letzte Stunde damit verbracht, verschiedene Regale in der Sektion Biographien & Memoiren zu sortieren, und jetzt tat mir der Kopf weh. Und was weißt du schon übers Arbeiten. Patricks Worte ratterten noch in meinem Kopf. Als ich gerade am Gehen war, kam Troy herein, er hatte seine Badehose und ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt an. Er stellte sein Surfbrett an der Tür ab und stapfte direkt zu Madison rüber.

Er kam gerade, wie immer am Wochenende, von einer Runde Schwimmen und tropfte noch. Er umarmte sie, während sie schreiend versuchte, ihm auszuweichen. Ich höre hauptsächlich von Madison über Troy. Obwohl ich wohl besser „überhöre“ sagen sollte. Sie verbringt ihre Mittagspause damit, draußen warmen Salat zu essen und mit ihm zu telefonieren. Ich höre ihre Stimme immer durch die Glasscheibe hindurch; Wochenendpläne für Yoga am Strand, eine Party in Malibu.

Ich fummelte an den Blättern auf meinem Schreibtisch herum, während sie sich fertig machten, um loszugehen, und gab mir alle Mühe, beschäftigt auszusehen. Ich spürte, wie sie näher kamen, und bevor ich aufblickte, hörte ich Madison. „Wir haben gerade über das Benefizding gesprochen. Hast du schon eine Idee?“ „Hi“, sagte Troy lächelnd. Es war ein freundliches Lächeln, wie man jemanden bei einem Spaziergang begrüßt. „Hi“, sagte ich. Ich konnte ihm nur kurz in die Augen schauen. Seine Haare waren von zu viel Sonne gebleicht, seine Augen die Farbe von nassem Sand. „Ich denke schon, dass eine Lesung funktionieren würde, ihr nicht?

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Die Leute können reinkommen und ein paar Seiten aus ihren Lieblingsbüchern vorlesen“, sagte Madison. „Wer denn zum Beispiel?“, fragte ich. „Na ja, Troys Tante ist eine Assistentin der Bürgermeisterin“, sagte sie und zeigte auf Troy. „Ja, ich glaube, das kann ich für euch drehen.“ „Das wäre toll“, sagte ich. „Und was ist mit dir?“ „Du willst, dass ich lese?“, sagte ich. „Nein. Ich meine, wen kannst du ranholen?“ „Ich kenne niemanden von dieser Größenordnung“, sagte ich, obwohl mir schon klar war, auf was sie abzielte. „Was ist mit deinem Big Shot von einem Freund? Kennt er durch seine Show nicht irgendwelche Stars? Er hat doch bestimmt ein Telefonbuch voller Leute, die er anrufen kann.“ Troy nickte. „Er kann die Leute nicht einfach um Gefallen bitten. So läuft das nicht.“ „Warum denn nicht? Wenn es jemals einen wirklichen Anlass gegeben hat, Leute um einen Gefallen zu bitten, dann wohl jetzt. Ich meine, Dennis ist den ganzen Morgen noch nicht runtergekommen. Vielleicht hat er sich gerade …“

Sie tat so, als würde sie sich eine Schlinge um den Hals legen, und ließ ihre Zunge über die mit Gloss bepinselte Unterlippe hängen. Ich schaute kurz zur Tür seines Apartments am Ende der hölzernen Wendeltreppe hinauf. Ein riesiger Türklopfer in der Form eines Wasserspeiers, den er vor ein paar Jahren dort angebracht hatte, grinste zurück. Es stimmte, Dennis war den ganzen Morgen noch nicht aus seinem Nest gekrochen. Ich schaute wieder zu Madison und Troy. „Für welche Sendung arbeitet er denn?“, fragte Troy. Und als ich es ihm gesagt hatte, sagte er, „Wow! Ich liebe diese Show. Bestimmt würde jeder von den Schauspielern eine Menge Leute anziehen. Ohne Scheiß!“ Er lächelte wieder. Die ganze Zeit hatte ich versucht, seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, und endlich sprachen wir miteinander. Es machte mich schwach. „Na gut, vielleicht macht er es ja für mich, wenn ich ihn frage.

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Aber bestimmt nicht Kate Mara oder so.“ Troys Lächeln verblich ein wenig. „Oder, ich weiß nicht. Vielleicht bekommt er sie ja. Aber bestimmt ein paar von den anderen.“ „Heilige Scheiße“, sagte Madison. „Das wäre der Wahnsinn.“ In diesem Moment erschien Dennis im Türrahmen und kam die Treppe herunter. Er lächelte und pfiff vor sich hin, während er seine rote Strickjacke zuknöpfte. Er hüpfte förmlich die Treppe herunter. Er sagte Hallo, als er an uns vorbeikam, und winkte uns zu, als hätte er uns zufällig bei einem Spaziergang auf der Straße getroffen, bevor er aus der Tür ging und um die Ecke verschwand. Die Glocke an der Tür klingelte noch zweimal, als die Tür sich hinter ihm schloss. „Sollte er nicht traurig sein?“, sagte Troy. „Trauer“, sagte Madison in sachlichem Ton. Sie beschrieb mit ihrem Zeigefinger kleine Kreise an ihrer Schläfe. „Es macht dich echt verrückt.“ Troy und ich nickten gemeinsam. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nie darüber fantasiert habe, wie mein Leben wäre, wenn ich mit Troy statt mit Patrick zusammen wäre. Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich denke manchmal darüber nach. Ein neuer Start mit jemand anderem.

***

Dennis hat mal fast zehn Jahre lang mit einem Mann in der Wohnung über dem Laden gelebt. Er hatte Damon in den 80ern in einer Schwulenkneipe in West Hollywood kennengelernt, etliche Jahre, nachdem Mavis ihre Sachen gepackt hatte und gegangen war. Das eine Mal, als er mir diese Geschichte erzählte, hatte Dennis mir erklärt, dass Damon sich an dem Abend wie ein Arschloch verhalten hatte; er weigerte sich, mit Dennis zu tanzen, er flirtete mit anderen Jungs, aber irgendwie hatte Dennis ihn dennoch an den Haken gekriegt—er nannte es Liebe auf den ersten Blick.

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Was ich sonst noch über den Mann weiß, habe ich hauptsächlich von Bildern. Zwei davon hängen an der Wand. Auf einem hat Dennis ihn praktisch im Schwitzkasten und sein Navy-Anker-Tattoo prangt auf seinem gespannten Bizeps. Damon ist schwarz und genauso dürr wie ich und versucht sich krampfhaft, Dennis’ Griff zu entwinden. Seine Haut sieht glatt und glänzend aus wie Wachs. Eine junge Kim Basinger steht neben ihnen und lächelt verschmitzt. Ich habe Dennis einmal gefragt, warum er das Bild hängen gelassen hat, obwohl die Geschichte so mies endete—Damon hatte einmal zu oft hinter seinem Rücken herumgemacht. Er schüttelte den Kopf und lächelte: „Komm schon. Es ist Kim Basinger, Junge. Ich kann damit leben, kein Problem.“

***

Patrick lud mich zum Abendessen in ein Fischrestaurant am Pico Boulevard ein. Wir aßen draußen auf der Terrasse neben einer mit Efeu umrankten Wand. Aus den Fugen ragten lilafarbene Blumen. Ich dachte nach, wie ich das Thema der Lesung unauffällig ansprechen könnte. Ich hatte schon eine komplette Käseplatte, eine kleine Portion in Buttermilch marinierter, gebratener Austern und einen Teller Hummerbolognese gegessen. Zum Nachtisch bestellte ich Schokoladensoufflé, um noch etwas Zeit zu gewinnen, obwohl ich schon lange nicht mehr hungrig war. Ich wusste, dass ich ihn, wenn ich ihn jetzt, während unseres romantischen Gelages, mit dem mondschimmernden Ozean hinter uns und dem Klang klappernder Gabeln—wo sozusagen die Tür noch einen Spalt offen stand—, nicht fragen würde, es später zu Hause erst recht nicht tun würde.

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Ich nahm einen letzten Schluck Whiskey Sour. „Erinnerst du dich, was ich dir über den Buchladen erzählt habe? Also, dass er zumachen muss? Naja, wir machen eine Benefizlesung, um ein bisschen Geld für meinen Boss zu sammeln, damit er den Laden behalten kann.“ „Gute Idee. Ist dir das eingefallen?“, fragte Patrick. „Naja, nein, aber ich helfe mit. Ich bin jetzt ein wichtiger Teil von dem Ganzen.“ „Willst du das?“, fragte er. „Ja klar“, sagte ich verwirrt. „Nein“, sagte er. „Willst du das noch?“ Er stocherte in meiner Bolognese nach ein paar übriggebliebenen Stücken Hummer herum. „Ich habe ihnen gesagt, dass du uns vielleicht helfen kannst.“ „Wie helfen?“, fragte er und seine Augen blitzten auf.

Ich merkte, dass er misstrauisch war. Patrick hat eine Schwäche für jüngere Männer, aber damit geht eine lange Geschichte an schmerzhaften Seitensprüngen einher. In der ersten Nacht, die wir zusammen verbrachten, nach unserem dritten oder vierten Date, nahm er mein Gesicht in seine Hände und sagte mir: „Ich will nicht, dass du mit mir spielst. Ich bin schon so oft verarscht worden, und ich würde es nicht noch einmal aushalten, denn ich verliebe mich gerade in dich.“ Es war ein Wochenende, an einem Nachmittag. Ich lag nach dem Sex in einem Haufen verschwitzter und ineinander verknäulter Laken. Die Sonne blinzelte durch die Öffnungen der Jalousien. Unsere Körper waren wie in Sonnenlicht getaucht. „Könntest du nicht jemanden aus der Show bitten, bei der Lesung mitzumachen? Ich stelle mir immer vor, dass sie ein
chinesisches Restaurant aus dem Laden machen und Dennis von den vielen Küchengerüchen ganz heiß und übel wird. Ich würde nicht fragen, wenn es nur um mich ginge, das weißt du doch.“ „Unmöglich. Das ist dir doch klar. Wie kommst du darauf––“ Aber da hörte ich schon nicht mehr zu.

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Ich beobachtete zwei Männer, die aus dem Restaurant kamen und von der Hostess zum Tisch gebracht wurden. Einer der beiden war Troy. Er trug einen maßgeschneiderten grauen Blazer mit Jeans und blauen Ledersportschuhen. Ich hatte ihn noch nie so vornehm angezogen gesehen. Der andere war jemand, den ich nicht kannte, aber er sah auch sehr gut aus. Sie setzten sich so, dass Troy mit dem Rücken zu mir saß. Ich fragte mich, ob Troy ihn online getroffen hatte, ob er sich erst durch eine Reihe fröhlich lächelnder Gesichter geklickt hatte, bevor er bei diesem hier hängengeblieben war, ob Dinner nur eine höfliche Einleitung für eine Nacht voll von verschwitztem Sex war, oder ob es etwas bedeutete, ob mehr dahinter war. Nachdem Patrick bezahlt hatte und wir aufstanden, um zu gehen, warf ich noch einen letzten Blick in die Richtung. Troy hatte seinen Arm auf dem Tisch ausgestreckt und hielt die Hand des anderen. Der warf lachend seinen Kopf zurück und sein Haar flatterte in der salzigen Seeluft. Ich stellte mir vor, dass ihr ganzer Abend so weiterging.

***

An den Wochenenden putzt Dennis die gerahmten Fotos. Es sind insgesamt mehr als 30. Ich weiß das nur, weil ich vor einem Monat mal an einem Sonntag vorbeikam—Dennis hatte mir, als ich hier anfing, einen Schlüssel zugesteckt und mit dem Auge gezwinkert, als er mir sagte, dass ich „ihn jederzeit benutzen könnte“—und ihn hinter einem der Tische sitzen sah, mit einem Lappen und Fensterreiniger in der Hand. Die Fotos waren in unterschiedlich großen Stapeln auf dem Boden vor ihm aufgereiht. Ich lief auf Zehenspitzen um sie herum und fühlte mich ein wenig wie Godzilla in Tokio. „Schau, wer doch mal vorbeigekommen ist. Hast du dich endlich entschieden, mein Angebot anzunehmen?“, fragte er. „Das nächste Mal vielleicht“, lachte ich.

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„Ich hab den iPod von meinem Freund vergessen. Ich hatte ihm versprochen, mir Freitag seine Musik anzuhören, aber jetzt braucht er ihn, um zu arbeiten.“ Er stand auf und holte den iPod aus einer Schublade. Ich bedankte mich. „Brauchst du Hilfe beim Saubermachen? Ich muss ein paar Stunden totschlagen“, sagte ich ihm. Ich hatte mich mit Patrick gestritten—in letzter Zeit hatten wir fast nur noch so kommuniziert—und ich hatte ehrlich gesagt Lust, ihn warten zu lassen. „Bist du verrückt? Ich liebe das hier. Eine nette kleine Zeitreise“, sagte er. „Das sind meine, Junge. Sieh zu, dass du selber welche bekommst.“

***

Die ganze nächste Woche bereiteten Madison und ich die Benefizlesung vor. Wir hatten beschlossen, das Ganze so lange wie möglich geheim zu halten, damit sich Dennis keine Sorgen um die Details machen musste. Troy kam vorbei, soweit es seine Arbeit im Yogastudio zuließ, was gegen Ende der Woche immer häufiger der Fall war. Die Wahrheit, dass Patrick uns nicht helfen würde, dass ich uns nicht helfen würde, brannte mir auf der Seele, aber ich brachte die Worte nicht heraus. Madison fragte mich regelmäßig nach meinen Plänen. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie durch meine abweisenden Antworten hindurchsah, wie durch einen auf einer Seite durchsichtigen Spiegel, und nur darauf wartete, mich bloßzustellen, am besten vor Troy. Also wurden meine Lügen immer größer. Kate Mara würde auch kommen. An einem Nachmittag kam Troy mit einem Arm voller grüner und pinkfarbener Flyer herein, auf denen stand: „Rettet den Buchladen: Benefizlesung mit Bürgermeisterin Pam O’Connor und Kate Mara von Dead Inside“ Jetzt war klar, dass ich die Scharade nicht länger aufrechterhalten konnte.

Es war nicht mehr wichtig, dass Troy denken würde, ich sei ein Idiot—wenn ich jetzt nicht aufhörte, würde ich auch Dennis bloßstellen. Aber bevor ich etwas sagen konnte, kam Dennis, der im hinteren Teil des Ladens Bücher sortiert hatte, nach vorn und blieb bei Troy und Madison stehen. „Was habt ihr da?“ Er begann, durch die farbigen Flyer zu blättern. Er hob einen hoch und las ihn sich durch. „Wir werden deinen verdammten Laden retten, Dennis!“, schrie Madison. Sie warf die Arme in die Luft und Troy tat es ihr nach. Sie benahmen sich, als wären sie bereit, sich sofort ins Gefecht zu werfen.

Die wenigen Kunden im Laden blickten in ihre Richtung und lächelten kurz, bevor sie höflich wegschauten. Ich starb vor Angst. Statt zwei Leuten mein Versagen zu beichten, musste ich nun auch Dennis das Herz brechen, seine einzige Hoffnung zerstören, das Leben zu retten, das er hier hatte, die einzige Chance, die wir ihm gegeben hatten und die ich ihm nun wieder entreißen würde. Aber Dennis’ Gesicht erstarrte zu Stein. Er beugte sich vor und fegte die Flyer vom Tisch gegen seine Brust, schleppte sie zum Papierkorb und riss sie mit bloßen Händen in Stücke, bevor er sie im Müll versenkte.
„Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?“, sagte er zu Madison. Dann drehte er sich zu mir um: „Hast du davon gewusst?“

Er zitterte und seine Hände waren mit solcher Gewalt zu Fäusten geballt, dass schon kein Blut mehr in die bleich gewordenen Fingerknöchel floss. „Ich verstehe nicht“, sagte Madison. „Was––“ „Lass gut sein.“ Er stürmte davon, die Treppe hoch in sein Zimmer und knallte die Tür so laut, dass der Türklopfer noch zweimal dumpf gegen das Holz schlug. „Seht ihr“, sagte Madison zu uns und den Kunden, die in unsere Richtung starrten. Sie drehte den Finger an ihrer Schläfe. „Macht. Dich. Verrückt.“ Während Madison und Troy den Müll nach Flyern durchsuchten, ging ich nach oben, um nach Dennis zu sehen. Ich hatte ihn noch nie so wütend erlebt. Es war die Art Wut, von der ich vermutete, dass er sie nach dem Krieg in sich vergraben hatte, die Art, wie man sie im Tarnanzug und mit Kriegsbemalung in den Tiefen des vietnamesischen Dschungels aufsaugt. Ich klopfte an seine Tür, und als er nicht antwortete, ging ich hinein. Es war seltsamerweise das erste Mal, dass ich in Dennis’ Apartment war. Es war eine kleine Studiowohnung mit Holzdielen. Er saß auf dem Bett, das Gesicht in die Hände gestützt.

Es war sauber und luftig, das Fenster stand offen, eröffnete den Blick auf den Friseurladen gegenüber und die wächsernen Palmwedel des Baums, der direkt vor dem Fenster stand. An der Wand hing eine amerikanische Flagge, aber sie war, soweit ich sehen konnte, die einzige Dekoration. „Was war denn da unten eben los, Dennis?“, fragte ich. Ich blieb stehen, weil ich ein bisschen Angst hatte. Ich hatte nicht vor, die Kraft eines 60-Jährigen zu unterschätzen. „Ich bin nicht ehrlich zu euch gewesen, Junge“, sagte er leise. Er fegte ein paar lose Baumwollfäden von seiner Hose. Er sprach erst nach ein paar Minuten des Schweigens wieder. „Das mit der Miete stimmt so nicht.“ „Also macht der Buchladen nicht zu?“ „Doch, das tut er, aber nicht aus den Gründen, die ich euch gesagt habe.“ Dann erzählte er mir von seinen Plänen, nach Miami Beach zu ziehen, zurück zu seiner Ex-Frau Mavis, nach all der Zeit.

Er erzählte, dass ihr Mann vor ein paar Monaten gestorben war und sie seitdem telefonierten und er ihr durch die Trauer half. „Liebst du sie denn noch?“, fragte ich, immer noch ungläubig. „Nein, natürlich nicht. Ich würde dich auch immer noch nicht von der Bettkante stoßen“, sagte er und stupste mich mit dem Ellenbogen. „Aber uns verbindet einfach sehr viel, Junge. Das kann man schwer erklären. Es ist manchmal einsam hier oben. Das verstehst du nicht, und ich hoffe, du wirst es auch nie verstehen.“ Dann fragte ich ihn, warum er gelogen hatte. „Es war mir vermutlich peinlich. Wer gibt schon gern zu, dass er nicht mehr alleine sein will. Ich wollte es euch sagen, wenn ich einmal dort bin, aber so war es einfacher für mich, denke ich.“ Ich spürte, wie sich etwas in meiner Magengrube auszubreiten begann, und es tat weh. Später am selben Abend, als ich neben Patrick im Bett lag, verstand ich endlich, was für ein Schmerz das war—Verrat. Mir wurde erst jetzt klar, dass ich mich sehr lange einfach darauf verlassen hatte, dass Dennis alleine glücklich war

***

Madison und ich verabschieden uns an der Sicherheitskontrolle von ihm. Wir haben Dennis zum Flughafen gebracht, weil wir für ihn wohl hier in Los Angeles County das sind, was einer Familie am nächsten kommt. All seine anderen Freunde sind entweder in Bungalows in die Wüste gezogen oder gestorben. Er trägt ein geblümtes Hemd und Flipflops. In Madisons Augen schimmern Tränen. Um uns herum umarmen sich Leute. Sie sagen: „Ich habe dich vermisst.“, „Du warst viel zu lange weg.“, „Ich liebe
dich.“, „Mach’s gut!“ „Du wirst auf den Füßen landen, mein Schatz“, sagt er zu Madison. „Da mache ich mir gar keine Sorgen.“ Dann nimmt er mich in die Arme und kneift mir in den Arsch. „Das bringt Glück“, sagt er. „Ich melde mich. Keine Sorge. Ich schicke euch dieses Jahr eine Weihnachtskarte und ich will, dass ihr mir auch eine schickt. Ich weiß, wie sehr ihr die hasst.“ Die Schlange an der Kontrolle erscheint endlos.

Sie schlängelt sich mehrmals hin und her. Dennis winkt uns noch einmal zu, bevor er durch den Metalldetektor tritt und in der Menge verschwindet. Wir sehen einigen Flugzeugen zu, wie sie starten und schnell in die Höhe fliegen, bis sie als kleiner Punkt in den Wolken verschwinden. Wir sind uns nicht sicher, in welchem der Flugzeuge er sitzt, aber ich stelle mir bei jedem Flugzeug vor, dass er sein Gesicht an eines der Fenster presst und zu uns runterschaut, bis auch wir verschwunden sind. Bald sagt mir Madison, dass sie jetzt losfährt und dass sie hofft, mich bald zu sehen. Ihre Stimme klingt dünn und verletzlich, aber ich weiß, dass das nicht von Dauer sein wird. Es ist nur der Augenblick. Ich stehe da, schaue auf die Landebahn und die zerklüfteten braunen Berge am Horizont. Ich starre auch auf mein Spiegelbild. Es schwebt, durchsichtig und hauchdünn über den Kuppen der Berge. Ich vergeude meine Zeit.

Thomas Gebremedhin ist ein Absolvent des Iowa Writers’ Workshop und der Duke University. Er lebt in Brooklyn und arbeitet bei Vogue.