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AfD im Bundestag: Mehr als jeder dritte Abgeordnete offenbar in Facebook-Gruppen mit rassistischer Hetze

Sie wollen Geflüchtete verprügeln und Angela Merkel erschießen: In Facebook-Gruppen verbreiten Nutzer rassistische Hetze. Auch dutzende Accounts, die wohl AfD-Bundestagsabgeordneten gehören, sind dort zum Zeitpunkt einer Motherboard-Analyse Mitglied.
AfD-Fraktion
AfD-Fraktion im Bundestag | Bild: Imago | Florian Gärtner

Gewalt ist eine Lösung – das propagieren zumindest Mitglieder der Facebookgruppe "Anti Islamische Allianz Abendland". Unter ein Video von Geflüchteten, die mit Polizisten aneinander geraten, schreibt ein Nutzer: "Totschlagen das Gesindel". In derselben Gruppe veröffentlicht ein Nutzer ein Foto, das Angela Merkel neben einem bewaffneten Soldaten zeigt. Über dem Kopf des Soldaten steht in einer Gedankenblase: "Ich könnte zum Held werden, jetzt sofort". Die Mordfantasie an der Kanzlerin wird 100 Mal geteilt. "Das wäre ein Traum, der wahr wird", schreibt eine Nutzerin darunter.

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In dieser Facebook-Gruppe, in der solche Hetze verbreitet wird, waren auch sieben Accounts, die offenbar Abgeordneten der AfD-Fraktion im Bundestag gehören. Drei davon haben selbst Beiträge gepostet, etwa Videolinks zu ihren politischen Reden. Dutzende solcher Beiträge kommen allein von AfD-Mann Stephan Brandner, der derzeit Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag ist.

Das Nachrichtenportal Buzzfeed News hat am 16. März berichtet, dass 23 AfD-Abgeordnete des Bundestags offenbar Mitglied einer Facebook-Gruppe mit Rassismus und Hetze waren: "Unser Deutschland patriotisch & frei". Inzwischen haben viele AfD-Politiker diese Gruppe verlassen. Recherchen von Motherboard zeigen jedoch: Das Problem mit zweifelhaften Facebook-Gruppen ist weitaus größer. Es beschränkt sich nicht auf einzelne Gruppen, es betrifft Dutzende. Insgesamt sind 39 Facebook-Accounts, die Bundestagsabgeordneten der AfD zuzuordnen sind, Mitglied in verschiedenen Facebook-Gruppen mit rassistischer Hetze (Stand: 20. März 2018). Das entspricht mehr als einem Drittel der Fraktion.

Abgeordnete erklären, sie seien den Gruppen nicht selbst beigetreten

Dieses Foto war in gleich mehreren Facebookgruppen zu finden, in denen auch AfD-Abgeordnete Mitglied sind | Bild: Screenshot | Facebook

Von Motherboard untersucht wurden private Facebook-Accounts, die sich mit großer Sicherheit AfD-Abgeordneten zuordnen lassen – durch Klarnamen, Fotos mit Gesicht und ihrer Mitgliedschaft in anderen AfD-Facebookgruppen. Einige geben sich auf ihrem Profil klar als AfD-Abgeordnete zu erkennen. Motherboard hat die betroffenen 39 Abgeordneten per Mail gefragt, ob die Accounts tatsächlich ihnen gehören. 28 haben nicht geantwortet, 11 sind in ihrer Antwort nicht näher auf diese Frage eingegangen.

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Theoretisch ist es möglich, dass Nutzer auf Facebook ohne ihr Einverständnis von ihren Freunden zu Gruppen hinzugefügt werden. Auf Facebook reichen dazu manchmal wenige Klicks. Neun von elf Abgeordneten, die auf die Nachfrage von Motherboard reagiert haben, erklären: Ihnen sei genau das passiert, sie seien einfach hinzugefügt worden. Ein Abgeordneter möchte überhaupt keine Fragen beantworten.

Einfach hinzugefügt zu werden ist auf Facebook aber nicht bei allen Gruppen technisch möglich. Buzzfeed hat das mit einem Administrator der Gruppe "Unser Deutschland patriotisch & frei" ausprobiert. Das Ergebnis: Nutzer müssen nochmal selbst aktiv werden, bevor sie Mitglied dieser Gruppe werden. Facebook schickt Nutzern außerdem regelmäßig Benachrichtigungen mit sogenannten Highlights aus den Gruppen. Wer ohne Einverständnis irgendwo hinzugefügt wurde, müsste also spätestens dann etwas bemerken. Die entsprechenden Benachrichtigungen lassen sich nicht grundsätzlich abschalten, sondern nur für jede Gruppe einzeln. Hinzu kommt: Zumindest fünf AfD-Abgeordnete haben selbst Beiträge in den betreffenden Gruppen verfasst.

Von 92 AfD-Abgeordneten im Bundestag sind zum Zeitpunkt unserer Untersuchung demnach 39 Mitglied in Facebook-Gruppen mit rassistischer Hetze. 34 sind nicht Mitglied in auffälligen Facebook-Gruppen; 19 haben kein auffindbares, privates Facebook-Profil (Stand: 20. März 2018) | Bild: Motherboard/Sabrina Schrödl

Neue Gruppenmitglieder müssen einen Gesinnungstest bestehen

Ein Blick auf die Gruppenmitgliedschaften der untersuchten AfD-Accounts zeigt: Es gibt ein loses Netzwerk aus Gruppen mit rassistischer Hetze – und den Konten von AfD-Bundestagsabgeordneten als Mitglied. Mal sind dort zehn davon vertreten, mal nur zwei oder drei.

Bei einigen Gruppen wie etwa der "Anti Islamischen Allianz Abendland" müssen Nutzer vor dem Beitritt zunächst einen Fragebogen ausfüllen. Es ist eine Art Gesinnungstest, den ein Administrator überprüfen muss. Eine der Fragen lautet: "Was ist für dich der Islam?" Wer hier angibt, den Islam eigentlich ziemlich toll zu finden, wird mit aller Wahrscheinlichkeit nicht in die Gruppe hineingelassen.

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Im Test der Gruppe "Unser Deutschland patriotisch & frei" lautet eine Frage: "Glaubst du, die BRD ist ein souveräner Staat?" Fragen wie diese sollen wohl sicherstellen, dass ausschließlich Nutzer mit entsprechender Haltung beitreten. Wer von einem Freund hinzugefügt wird, der bereits in der Gruppe Mitglied ist, muss einen solchen Test wohl auch absolvieren. Jedenfalls ist das so bei der Gruppe "Unser Deutschland patriotisch & frei", wie Buzzfeed berichtet.

In diesem Bild ist die Rede von kämpfenden Germanen. Der Gruppentitel "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" legt nahe: Mit Germanen sind offenbar Deutsche gemeint, die gegen Muslime "kämpfen" | Bild: Screenshot | Facebook

Eine Nutzerin namens Alice Weidel ist Mitglied einer Gruppe, in der der Holocaust relativiert wird

Was die auffälligen Gruppen gemeinsam haben: Ihre Mitglieder lehnen Geflüchtete und die Politik der Regierung Merkel radikal ab – und einige drücken diese Ablehnung mit Rassismus und Hetze aus. Vereinzelt lassen sich auch rechtsextreme Beiträge finden. In der Gruppe "Vergessenes Deutschland" zum Beispiel werden vor allem harmlose Nostalgie-Bilder geteilt, von der Augsburger Puppenkiste bis hin zu DDR-Souvenirs. Zu sehen ist aber auch eine Disney-Zeichentrickfigur, der Tiger Shir Khan aus dem Dschungelbuch – verkleidet als Soldat des Deutschen Reiches.

In der Gruppe "Rechtskonservative Freunde der AfD" relativieren zwei Nutzer offenkundig den Holocaust. Sie haben eine Grafik gepostet, in der die Zahl der beim Holocaust ermordeten Menschen verglichen wird mit einer angeblichen Zahl an Menschen, die durch den Islam getötet worden sein sollen. Die Grafik soll offenbar nahelegen: Der Islam sei schlimmer als der Holocaust. Ein anderer Post zeigt den Umriss Deutschlands, begleitet von den Worten: "Zuwanderungs-Wahn: Ein Volk verliert sein Hausrecht". In den Kommentaren ist ein Videoclip mit einem Panzer zu sehen, darüber der Slogan "Führer-Volk-Vaterland".

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Neun AfD-Abgeordnete waren offenbar zum Zeitpunkt der Untersuchung in der Gruppe, darunter auch ein Account, der eindeutig aussieht wie das private Facebookprofil von Alice Weidel, der Co-Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion. Die Chronik des Accounts zeigt Fotos von Weidel auf AfD-Veranstaltungen sowie Beiträge ihrer offiziellen Facebookseite. Alice Weidel hat nicht auf eine Anfrage geantwortet, ob der Account tatsächlich ihr gehört.

Der AfD-Abgeordnete, der gezielt Verschwörungstheorien verbreitet

Besonders skurril ist die Facebook-Gruppe "Reale Verschwörungen!". Einige Mitglieder der Gruppe glauben offenbar, die Erde sei eine Scheibe und Kondensstreifen von Flugzeugen würden die Bevölkerung vergiften. Ein Administrator fordert die Gruppenmitglieder in einem Beitrag auf, zu diesen Themen bitte künftig nichts mehr zu posten. In dieser illustren Runde haben den Ergebnissen unserer Recherchen zufolge auch zwei AfD-Abgeordnete ihre politischen Inhalte beworben, unter anderem der Rechtsausschuss-Vorsitzende des Bundestags Stephan Brandner.

Sein Parteikollege Thomas Seitz hat offenbar versucht, das Interesse der Verschwörungstheoretiker gezielt zu wecken, wie aus der Recherche hervorgeht. Er schreibt in einem Beitrag vom 10. September 2017: "Steckt da Absicht dahinter, Deutschland mit Männern zu fluten, die aus Ländern mit einer ausgeprägten Vergewaltigungskultur stammen?" Verlinkt ist ein Text von Focus Online über die Vergewaltigung einer Joggerin. Seitz spielt damit wohl auf die Verschwörungstheorie der sogenannten Umvolkung an. Sie besagt, dass Politiker und Eliten die deutsche Bevölkerung vorsätzlich vernichten und durch Ausländer ersetzen möchten.

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Beitrag vom Account eines AfD-Abgeordneten in der Facebookgruppe "Reale Verschwörungen" | Bild: Screenshot | Facebook

"Affen sind keine Menschen": Menschenverachtende Kommentare sind schnell zu finden

Motherboard hat auch Stephan Brandner auf einige seine Beiträge in diesen Facebook-Gruppen angesprochen. Eine Sprecherin bedankte sich wenig später für die "wertvollen Hinweise" und erklärte, man habe "sofort entsprechende Maßnahmen eingeleitet". Konkret hat Brandner unter anderem die Gruppen "Reale Verschwörungen!" und "Anti Islamische Allianz Abendland" verlassen. Insgesamt umfasst die Liste seiner öffentlichen und geschlossenen Gruppen rund 30 Einträge; viele davon sind harmlose Gruppen seiner Partei. Bei vereinzelten weiteren Gruppen, in denen Motherboard rassistische Hetze entdeckt hat, ist Brandner jedoch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung weiterhin Mitglied.

Eine davon ist "Klartext - vernetztes Vaterland", in der Gruppe waren zum Zeitpunkt der Motherboard-Analyse inklusive Stephan Brandner insgesamt elf AfD-Abgeordnete. Auch hier wurde das Mordfantasie-Foto mit Angela Merkel und dem bewaffneten Soldaten geteilt. Unter ein Foto mit afrikanischen Geflüchteten schreibt ein Nutzer die menschenverachtende Bemerkung: "Affen sind keine Menschen". Ein anderer Nutzer postet einen Sticker mit einer Figur, die ihre flache Hand in die Luft hebt. Die Geste erinnert in diesem Kontext an einen Hitlergruß. Unter dem Bild einer Deutschlandflagge schreibt ein Nutzer, er würde die schwarz-weiß-rote Fahne lieber haben – gemeint ist wohl die Flagge des Deutschen Kaiserreichs.

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Auch in dieser Gruppe haben drei Accounts, die AfD-Politikern zuzuordnen sind, aktiv Beiträge geteilt, jüngst der Abgeordnete Stefan Keuter am 21. März. Dabei hatte tags zuvor noch der AfD-Abgeordnete Jens Maier gegenüber Buzzfeed angekündigt, die Fraktion wolle stärker darauf achten, in welchen Facebook-Gruppen die Bundestagsmitglieder vertreten sind.

Auswahl an Facebook-Gruppen mit den Namen von AfD-Abgeordneten in der Mitgliederliste (Stand: 20. März 2018) | Bild: Sabrina Schrödel

Motherboard hat Stefan Keuter gefragt, warum er in dieser Gruppe gepostet hat. Der lässt über einen Sprecher mitteilen: "Politische Arbeit ist mitunter auch, dass man politisch interessierte Bürger mit der Arbeit des Abgeordneten konfrontiert und die Bürger informiert." Keuter ist auch Mitglied in der Gruppe "Anti Islamische Allianz Abendland". In Bezug auf die Gruppen des Abgeordneten schreibt der Sprecher: "Herr Keuter ist im Internet sehr weit vernetzt. Dazu gehören sehr wohl auch die von Ihnen erwähnten Gruppen, aber auch Gruppen, die der Union, der SPD, FDP und Grünen nahestehen." Motherboard hat die rund 50 öffentlichen und geschlossenen Gruppenmitgliedschaften des Abgeordneten gesichtet. Ein ausdrücklicher Bezug zu den genannten Parteien war bei diesen Gruppen zumindest nicht direkt ersichtlich. Gruppen mit dem Wort "AfD" im Titel gibt es bei Keuter aber sehr viele. Eine Anfrage, welche Gruppen genau gemeint sind, blieb bislang unbeantwortet.

Nutzer könnten die Mitgliedschaft der AfD-Politiker als Bestätigung für ihre Hetze werten

Weitere auffällige Gruppen mit AfD-Accounts in der Mitgliederliste heißen beispielsweise: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" (sechs Abgeordnete), "Politisches Chaos in Deutschland und Europa" (neun Abgeordnete) oder "Aus Liebe zu Deutschland" (sieben Abgeordnete). Zwei Abgeordnete befinden sich der Recherche zufolge in einer Gruppe mit dem verstörenden Namen "Die Stimmung kippt! Wir brauchen Bürgerwehren in Deutschland!", deren Beiträge Motherboard nicht einsehen konnte. Auch auffällig: Insgesamt zehn Abgeordnete sind offenbar in verschiedenen Facebook-Gruppen, die dem Titel nach Solidarität mit Russland oder Wladimir Putin bekunden.

Klar ist, nur weil die AfD-Politiker wohl in diesen Gruppen Mitglied sind, heißt es nicht automatisch, dass sie den Beiträgen dort zustimmen oder sie überhaupt lesen. Irrelevant sind die Facebookgruppen von Bundestagspolitikern trotzdem nicht: Die Nutzer dieser Gruppen können damit prahlen, dass sie hochrangige Politiker in ihren Reihen haben. Einige könnten die Mitgliedschaft der Abgeordneten als stillschweigende Bestätigung für ihre Hetze verstehen.

Fünf der 39 Abgeordneten, die Motherboard kontaktiert hat, wollen ihre Facebook-Gruppen nach eigenen Aussagen überprüfen oder haben die beanstandeten Gruppen bereits verlassen. Auf die Frage, was die AfD in Bezug auf die Faceobok-Gruppenmitgliedschaften ihrer Abgeordneten konkret unternehmen möchte, hat die Fraktion nicht geantwortet.

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