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Top Gun im Twitter-Daumenkino

Der Account @555µhz rechnet die Bildfrequenz so um, dass wir den gesamten patriotischen Epos über Monate hinweg in Tweets anschauen können.

Der neuste Twitter-Spaß heisst @555uhz. Dieser Account postet seit Ende Januar nichts anderes als Einzelbilder aus Top Gun von 1986 mit Tom Cruise in der Hauptrolle—und das zwei Mal pro Stunde, in richtiger Reihenfolge. Den Anfang machte das Paramount-Logo aus der ersten Szene und mittlerweile sind wir bei der Szene im Offiziersclub mit Maverick angelangt. Ich kann mich zwar nicht mehr an den genauen Zeitpunkt dieser Szene innerhalb des Films erinnern, aber wir befinden uns definitiv noch ziemlich am Anfang.

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Seit Januar werden zwei Bilder pro Stunde gepostet—mit Untertiteln, ohne Ton—und wir sind noch immer im ersten Akt des Films. In der vergangenen Woche hat der Twitter-Account eine Menge Aufmerksamkeit in der Blog-Welt bekommen. Der Account, der mittlerweile mehr als 6000 Follower zählt, aber als konsequenter Einzelgänger niemandem folgt, reiht sich ein in Phänomene die unserer Web-Maschine etwas geisterhaftes und mysteriöses hinzufügen wollen. In diesem Fall befindet sich hinter der etwas wahnsinnigen Erscheinung, aber auch noch eine ausgetüfftelte Logik. Anstelle des Retweetens von jambischen Pentametern und Reimen, oder der Transformation von Schlagzeilen in einen schizophrenen News-Alarm, steckt hinter @555uhz eine ziemlich konsequente mathematische Analyse des Formats Film.

In der Regel werden bei einem Film 24 Bilder pro Sekunde gezeigt. Natürlich gibt es da auch Ausnahmen, wie zum Beispiel Peter Jackson und andere Filmemacher, die denken, dass Bildflimmern ein echtes Problem für Menschen ist und wir deswegen einen Wert von 48 brauchen—was aber gar nicht wirklich stimmt. Der Wert von 24 Bildern pro Sekunde ist übrigens nicht willkürlich gewählt; es wird vermutet, dass die menschliche Netzhaut ein Nachbild für 1/25 von einer Sekunde festhält. Das ist der Grund, warum man kontinuierliche Bewegung in einem Film sieht, statt diskreten Bilder und zwischendurch gar einer schwarzen Leinwand.

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Dank der Umsetzung von @555uhz kannst du jetzt aber auch durch das Hoch- und Runterscrollen auf Twitter eine filmische Erfahrung machen. Wenn du im richtigen Tempo scrollst, dann kannst du zumindest eine Art virtuelles Daumenkino erleben.

pic.twitter.com/KP7MaAG142

— 555 µHz (@555uhz) January 29, 2014

pic.twitter.com/PcI93EcE5q

— 555 µHz (@555uhz) February 5, 2014

pic.twitter.com/8GbiDYQtaR

— 555 µHz (@555uhz) February 16, 2014

pic.twitter.com/sx94kMboYz

— 555 µHz (@555uhz) February 18, 2014

pic.twitter.com/NWfa3RTiFf

— 555 µHz (@555uhz) February 22, 2014

Die Bildrate von @555uhz liegt allerdings nicht bei 24 Bilder pro Sekunde. Die eigentliche Bildfrequenz ist die Rate, mit der der Account Bilder auf Twitter postet, so wie die echte Frequenz eines Films die Rate ist, mit der die Filmspule die Bilder auf die Leinwand projiziert. Die Top Gun Tweet-Frequenz liegt bei 2 Tweets pro Stunde, also bei 48 Tweets am Tag. Das macht 2/60 or 0,034 Bilder pro minute. Und jetzt rechne mal aus, wie viele Bilder das pro Sekunde ergibt: Richtig, 0,000555.

Das Rechnen mit Bildern pro Sekunde ist eine spezifischere Version der Maßeinheit Hertz (Hz), wobei 1 Hz einen vollen Zyklus einer periodischen Sache beschreibt (wie beispielsweise Schallwellen), die innerhalb einer Sekunde geschieht. In unserem Fall sehen wir Kino in 0,000555 Hz, was sich hübsch in 555 Mikrohertz (uHz) umwandeln lässt. In Wirklichkeit sehen wir hier also keinen Twitter Account, sondern einen Film im Bruchteil seiner normalen Geschwindigkeit—und ohne Ton.

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Weil @555uhz eine niedrigere Abtastrate des Films verwendet, bekommen wir das cineastische Erlebnis von Top Gun in 'nur' 7.000 Gesamtbildern vermittelt, anstatt, wie sonst üblich insgesamt ungefähr eine halbe Millionen Bilder zu sehen. Das heißt, bei der aktuellen Geschwindigkeit von zwei Bildern pro Sekunde werden wir Top Gun über Monate anschauen können, und nicht, wie es nach der normalen cineastischen Bildfrequenz eigentlich laufen müsste, über Jahre hinweg. Wenn du den Film bisher noch nie gesehen hast, dann brauchst du dich aber jetzt auch nicht sonderlich beeilen: Nach der Mathematik von @555uhz hast du noch ungefähr drei Monate Zeit seine Version von Top Gun zu gucken.

Es liegt ein seltsamer Zauber darin, sich ein auf diese Weise dargestelltes zufälliges Bild eines Films anzusehen—dieser besondere Moment, dieser Bruchteil einer Sekunde in der Nahaufnahme eines Schauspielers, die du eigentlich nie so sehen solltest. Und diese Zuschauerrolle hat auch etwas didaktisches. Anders als im bewährten Bewegtbildformat, spielt sich die Geschichte hier vor uns in einem langsamen Fluss ab.

Und dabei verbreitet sich der patriotische Hollywood-Glanz des Kampfpilotenepos mit jedem neuen Follower und Retweet und Favorit in das Zeitalter des Internets, und bricht dabei gleichzeitig immer weiter in Millionen kleine Bildstücke auseinander.

Update: Das Schicksal in Zeiten des Internets verschont auch Top Gun nicht: Am Sonntagabend wurden eine Reihe von Bilder auf der Seite gesperrt „als Reaktion auf eine Anfrage der Copyright-Inhaber“—vermutlich also von Paramount Pictures. Ob das Vorgehen von @555uhz rechtlich in Ordnung ist, wird ein Gericht entscheiden müssen. Aber das bedeutet nicht, dass dieses seltsame Roboter-Daumenkino keine neue Kunstpraxis sein kann, wenn es nicht sogar schon ein neues Medium ist.

pic.twitter.com/x7pQSUi2X3

— 555 µHz (@555uhz) February 20, 2014