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Das schnellste Fahrrad der Welt

Das Human Power Team hält mit dem Velo X nicht nur den Geschwindigkeitsrekord für Pedalräder mit 133 km/h, sondern bastelt nebenbei auch an alltagstauglichen High-Tech-Liegerädern, die den PKW-Pendelverkehr der Zukunft mit reiner Muskelkraft ersetzen...
​Bild: Alexander Sußmann.

Deutsche Untertitel können im Video-Player unter CC ausgewählt werden.

Als das Fahrrad Anfang des 19. Jahrhunderts in Süddeutschland, England und Frankreich populär wurde, war es die erste Maschine, die den Individualverkehr eroberte. Knapp 200 Jahre nach der Entwicklung des Vélocipède, des Draisinschen Laufrads, ist individuelle Mobilität eines der obersten Gebote in Zeiten der Globalisierung. Heute fahren auf unseren Straßen von Single Speeds, Holland-Rädern und Fahrrad-Rikschas über BMX-Räder bis hin zu E-Bikes die unterschiedlichsten Radtypen.

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Wie schnell du mit reiner Muskelkraft tatsächlich vorankommen kannst, beweist das Human Power Team: Mit dem dritten Modell ihres High-Tech-Liegerads, dem VeloX 3, hatten die Niederländer vor einem Jahr mit 133,78 km/h einen neuen Geschwindigkeitsrekord für Pedalkraftfahrzeuge aufgestellt.

Der leitende Entwickler Dennis Berckmoes mit einem Modell des VeloX 1. Alle Bilder soweit nicht anders vermerkt: Alexander Sußmann / VICE.

Ein Ersatzchassis des aktuellen Rekordfahrrads VeloX 3 in der Werkstatt des Human Power Teams.

Dennis führt das Oberteil des Chassis vor, inklusive der Monitoranlage, die für den Fahrer die einzige Möglichkeit darstellt, um nach draußen zu schauen.

Die Entwicklung des Liegerads übernimmt ein Team von knapp einem Dutzend Studenten der TU Delft. Seit vier Jahren entwickeln sie in jedem akademischen Jahr einen grundlegend neuen Prototypen ihrer VeloX-Serie. Damit fliegen sie dann einmal im Jahr nach Battle Mountain in Nevada, wo die besten Liegeradteams der Welt auf einem acht Kilometer langen gesperrten Abschnitt des Highway 305 versuchen, einen neuen Rekord aufzustellen.

Für die zweite Folge von ​Upgrade haben wir das Human Power Team in ihrer Werkstatt in Delft besucht. Obwohl sie gerade mitten in den letzten Vorbereitung für einen neuen Rekordlauf steckten, nahm sich der leitende Ingenieur Dennis Berckmoes Zeit, uns ihre Entwicklung ausgiebige zu erklären. Auch für das VeloX 4 werden alle Komponenten individuell entworfen und gefertigt, vom Chassis aus extrem festem, aber leichtem Carbon, über die im Windtunnel des Raumfahrtzentrum getestete Aerodynamik bis hin zu speziellen Schaltsystemen und 3D-gedruckten Sonderkomponenten.

Das VeloX4 auf dem Lausitzring.

„Das hier ist die Formel 1 für Fahrräder", fasste es Dennis nach unserem Rundgang  zusammen. Eine Formel 1, bei der alle Entwickler gleichzeitig auch leidenschaftliche Liegerad-Nerds sind und mit ihrem individuellen Liegerad vor der Werkstatt vorfahren.

​Die Garage des Human Power Teams liegt dabei unmittelbar neben anderen Pionierprojekten CO2-neutraler Fortbewegungsmittel wie dem ​Nuna Solarauto (seines Zeichens Seriensieger der Solar Challenge in Australien), High-Speed-Ruderbooten oder emissionsfreien U-Booten.

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Vielen aus dem Human Power Team geht es bei ihrer Entwicklungsarbeit nicht nur um die Geschwindigkeitsrekorde, sondern auch um die Pionierarbeit, die einmal zu besseren, alltagstauglicheren Liegerädern führen soll. Eines der Ergebnisse dieser Arbeit ist der Prototyp des Velo Tilt, den Wim Schermer unter anderem zusammen mit dem Gründer des Human Power Teams entwickelt hat.

Wim Schermer ist sichtbar stolz auf seinen Prototypen des Velo Tilt.

Das Velo Tilt kann ohne große Anstrengung auf Geschwindigkeiten von 60 km/h beschleunigen. So sollen sich auch längere Strecken mit reiner Muskelkraft bewältigen lassen, für die allzu viele Berufspendler heute noch auf ihr Auto zurückgreifen. Allein in Deutschland gibt es fast 25 Millionen PKW-Pendler, die täglich knapp 25 Kilometer mit dem Auto zurücklegen. Mit dem Velo Tilt könnten solche Strecken entspannt im Liegen zurückgelegt werden, ohne dabei fossile Brennstoffe zu verbrauchen. In einigen Jahren möchte Wim sein Velo Tilt auf den Markt bringen—auch wenn er zugibt, dass es wohl am Anfang noch mehrere tausend Euro kosten wird.

Das Velo Tilt hat auch einen Kofferraum, in dem du bequem deine Einkäufe verstauen kannst, und da es drei Räder hat, sollen es auch für Liegerad-Anfänger problemlos zu fahren sein. Das wäre schon einmal ein entscheidender Vorteil gegenüber den High-Speed-Modellen des Human Power Teams. Denn in das Velo X traut sich selbst Dennis nicht hinein: „Ich habe großen Respekt vor unseren Fahrern, die dieses Gefährt meistern. Ich setze mich da nicht rein. Ich würde nach wenigen Metern umkippen."

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Die Fahrer des Velo X sind meist Sportstudenten der Uni Amsterdam, die ihre Rennerfahrungen dann auch stets in die Weiterentwicklung in der Werkstatt mit einbringen. Schließlich sind sie es auch, die in einer komplett geschlossenen Kiste sitzen müssen, und nur durch ein Kamerasystem überhaupt sehen können, was vor ihnen passiert.

Ohnehin erfordert das Leben als High-Speed-Liegeradfahrer gelegentlich ungewöhnliche Maßnahmen. Als wir das Human Power Team für einen neuen Rekordlauf um vier Uhr morgens auf dem Lausitzring wieder trafen, begrüßte mich der Fahrer Rik Houwers zunächst mit der Information, dass er gerade zwei riesige Teller Spaghetti Bolognese verputzt habe. Für ihn war das ein notwendiges Frühstück vor seinem Versuch, einen neuen Stundenrekord aufzustellen.

Ein Querschnitt des VeloX 1.

Letztlich ist es dem Human Power Team in diesem Jahr nicht ganz gelungen, einen neuen Rekord aufzustellen. Mit knapp über 90 km/h liegt der Stundenrekord hier immer noch bei dem ​Schweizer Francesco Russo. Doch auch wenn andere Liegeradentwickler, wie das Team des Liverpooler ARION1, schon großspurig angekündigt haben, bald Rekordgeschwindigkeiten von über 140 km/h zu erreichen, hat der Geschwindigkeitsrekord des Human Power Teams und ihrem VeloX 3 bis heute Bestand.

Dennis glaubt, dass die neue Generation des Velo X es schon bald auf Durchschnittsgeschwindigkeiten von 100 km/h über eine Stunde bringen kann. Neben dem Bastler-Ehrgeiz ist es aber vor allem die Aussicht auf alltagstaugliche High-Speed-Liegeräder für jedermann, die sowohl Dennis als auch Wim antreibt. Der Entwickler des Velo Tilt brachte die Vision vielleicht am besten auf den Punkt: „Ich besitze zwar ein Tesla-Auto—aber ich habe auch mehrere Liegeräder. Jeder Liter Benzin, den wir sparen, ist reiner Profit für uns und unsere Umwelt. Und deshalb lege ich jedes Jahr mit meinen Liegerädern mehr Kilometer zurück als mit meinem Auto."