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Sarah Harrison: „Wir sind bereit für die Edward Snowdens von Morgen“

Wikileaks-Unterstützer und Hacktivisten haben gestern in Berlin die Courage Foundation gegründet, die Edward Snowden und auch zukünftige Whistleblower tatkräftig unterstützen wird.
Bild: Andreas Krufczik.

Mit viel prominenter Unterstützung wurde gestern Abend in Berlin die Gründung eines neuen Netzwerks zur Unterstützung von Whistleblowern gefeiert. Die Courage Foundation wird all denjenigen mit juristischer, organisatorischer und finanzieller Hilfe zur Seite stehen, die sich dafür entscheiden mit Leaks zur Aufklärung der Öffentlichkeit über die Geheimnisse moderner Sicherheitsstaaten beizutragen. Die NSA-Enthüllungen haben schließlich in aller Deutlichkeit gezeigt, dass allzu oft technische Machbarkeit und nicht öffentliche Entscheidungsfindung über das Ausmaß moderner Überwachung bestimmt.

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Im heillos überfüllten historischen Spiegelsaal von Clärchens Ballhaus führte Sarah Harrison als Direktorin der Courage Foundation durch den Abend. Sie war jedoch bei weitem nicht alleine: zahlreiche prominente Hacktivisten fanden sich unter den rund 150 Gästen im Publikum wieder oder wurden auf die improvisierte und doch wohl organisierte Bühne gerufen: Das langjährige CCC-Mitglied Andy-Müller Maguhn, Snowdens deutscher Anwalt Wolfgang Kaleck, Jacob Applebaum und die Filmemacherin Laura Poitras. Per Livestream waren außerdem Whistleblower-Legende Daniel Ellsberg, Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald und Julian Assange zugeschaltet, der aus der ecadorianischen Botschaft in London nur allzu gut berichten kann, was es heißt unfreiwillig an einem Ort festzusitzen.

Die wichtigsten Waffen: Solidarität und weiter publizieren!

Edward Snowden soll als erster Begünstigter der Courage Foundation nur der Anfang sein—und gleichzeitig ist er das Paradebeispiel. Ohne ein breites Netzwerk von Unterstützern stünde der Ex-NSA-Agent schließlich heute ziemlich alleine dar. Allen voran Sarah Harrision selbst, die Snowden auf dem Flug von Hong Kong und in den ersten Wochen seines erzwungenen Moskauer Asyls begleitete, zeigt, wie aufwendig und gleichzeitig essentiell eine tatkräftige Unterstützung von Whistleblowern sein kann.

Ich habe Harrison gefragt, warum sie sich zusammen mit vielen engagierten Mitstreitern entschieden hat die Courage Foundation ins Leben zu rufen. Für Harrison sind die Gründe ebenso eindeutig wie ambitioniert:

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„Wir brauchen diese Stiftung wegen den Snowdens von Morgen. Wir müssen eine Organisation aufbauen, die schnell bereitsteht, um die nächsten Whistleblower zu unterstützen. Und die wichtigsten Waffen hierfür sind: Solidarität und weiter publizieren!"

Harrison spricht aus mehrerlei Rollen über den Kampf für digitale Selbstbestimmung. Sie hat nicht nur Edward Snowden während jener eigenartig gehetzten Wochen im Juli des vergangenen Jahres am Moskauer Flughafen begleitet, sondern fungiert auch schon lange als zentrale Mitarbeiterin bei Wikileaks. Und sie weiß selbst, was es heißt politisch verfolgt zu sein: Schließlich musste auch die Britin ihren Wohnsitz wegen genau jener Arbeit nach Berlin verlegen.

Sarah Harrison demonstriert die #StandWithSnowden-Kampagne, die nach dem öffentlichen Start der Courage Foundation nun heute auf Twitter die Runde macht. Bild: Courage Foundation via YouTube.

Harrison betont die zentrale politische Bedeutung von Whistleblowern, aber sie ist durchaus skeptisch sei, was die Möglichkeiten des Quellenschutz von traditionellen Medien angeht—denn allzu oft wird der rechtliche Schutz an den Ausdruck vom öffentlichen Interesses geknüpft: „Die Rede vom „öffentlichen Interesse" ist ein sehr breiter Begriff, der leicht missbraucht werden kann. Und ja die Regierungen machen sich die Undeutlichkeit dieses Ausdrucks in ihrem Sinne zu Nutze."

Sarah Harrision (mitte) lauscht genauso wie der Rest des Publikums dem EFF-Mitbegründer John Perry Barlow. Wenige Minuten zuvor hatte Whistleblower Legende Daniel Ellsberg über eine wacklige Skype-Verbindung noch einmal klargestellt: „Snowden ist ein wahrer Patriot." Bild: Andreas Krufczik.

Ein offizielles Auffangnetz für Whistleblower zu spannen, ist auch aus ganz finanziellen Gründen notwendig. „Im vergangenen Jahr sind über 100.000 Dollar an juristischen Kosten im Fall Edward Snowden aufgelaufen", gab Harrison zu Protokoll. Die Courage Foundation nimmt als einzige Stiftung auch Spenden für die offizielle rechtliche Vertretung von Edward Snowden entgegen (und dank der Unterstützung der WAU Holland Stiftung in Deutschland nun auch inklusive Steuererleichterung).

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Snowden wäre jetzt gerne in Brasilien. Das wären wir doch alle.

Auch der deutsche Anwalt von Edward Snowden Wolfang Kaleck ergriff am Mittwochabend das Mikrofon: „Du brachst kein Anwalt sein, um die gegenwärtige Situation zu verstehen." Snowdens Asyl in Russland läuft Ende Juli aus, in den USA drohten ihm laut Kaleck Isolationshaft und eine drakonische Haftstrafe, wie sie auch der mutmaßliche WikiLeaks-Informant Chelsea Manning momentan erleben darf.

Währenddessen verhält Deutschland sich angesichts einer möglichen Vorladung eines entscheidenden Zeugens unwürdig untätig, und wird Snowden wohl niemals im NSA-Untersuchungsausschuss anhören oder ihm gar in Deutschland Asyl gewähren. Der Abend markiert deshalb auch den Beginn der #StandWithSnowden-Kampagne, die dazu aufruft überall auf der Welt auf die Forderung nach Asyl für Snowden aufmerksam zu machen.

„Wie so viele von uns würde auch Edward Snowden jetzt gerne in Brasilien leben", sagte Wolfgang Kaleck zum Vergnügen der Anwesenden. Und selbstverständlich meint er damit weder die Fußballweltmeisterschaft, noch will er den wilden Spekulationen, um seinen zukünftigen Aufenthaltsort das Wort reden: „Snowden wäre an so vielen Ort auf der Welt lieber als in Moskau", hält Kaleck sich bedeckt und verweist noch auf die im Hintergrund laufenden Gespräche über eine mögliche Rückkehr Snowdens in die USA.

Und dann wird auch Edward Snowden noch mit einer Videobotschaft aus seinem Moskauer Exil zugeschaltet und zeigt sich kämpferisch: „Wenn unsere Regierung nicht gewillt ist Whistleblower zu beschützen, dann werden wir als globale Gesellschaft dies tun."

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Schon in seinem NBC-Interview in der vorvergangenen Woche hatte Edward Snowden einmal mehr bewiesen, dass er im ewig graublauen Hemd überzeugend und informiert wie kaum ein zweiter beschreiben kann, was die unrechtmäßige und anlasslose Massenüberwachung durch NSA & Co für unsere moderne Demokratie bedeutet.

Leider fiel der NBC nach einem über 45 Minuten langen und ausführlichen Interview inklusive eines besonnenen Moderators Brian Williams nichts anderes ein, als den Zuschauern nur eine ebenso entpolitisierte wie langweilige Debatte zuzutrauen. Abschließende Zuschauerfrage:

Edward Snowden: Held oder Verräter? Jetzt anrufen!

Es ist letztlich eine ganz ähnliche mediale Dauerschleifenfrage, mit der auch Al Jazeera erst gestern wieder ihren Snowden-Artikel zur Aktivierung in die Twitter-Sphäre geschossen hat:

Opinion: Edward #Snowden - whistleblower or traitor? http://t.co/ZpkgyGuxn3

— Al Jazeera English (@AJEnglish) June 11, 2014

Spoiler: Whistleblower.

In unserem Gespräch wiederholte Sarah Harrison abschließend Snowdens Worte aus seiner Video-Botschaft, die klar stellen, dass es für die Aktivisten, die noch bis spät in die Nacht in Clärchens Ballhaus weiter diskutieren, um eine ganz andere, langfristige Mission geht: „Genug ist genug."