Mit Elektroschocks zum besseren Menschen — ein fünftägiger Selbstversuch
Bild: ​Shutte​rstock

FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Mit Elektroschocks zum besseren Menschen — ein fünftägiger Selbstversuch

Das Wearable Pavlok will mir meine schlechten Gewohnheiten mit Hilfe von Stromschlägen abtrainieren. Ein Alltagsexperiment mit der Taser-Version der Selbstoptimierung und 124 mal 340 Volt.

Optimiere dein Leben. Schalte deine schlechten Gewohnheiten ab. Forme deinen Willen. In nur fünf Tagen!—Die Erfinder von „Pavlok" wollen mit einem simplen, aber effektiven Armband große Heilsversprechen einlösen: Ein Wearable, das dir jedes Mal wenn du schwächelst oder sündigst einen kurzen 340 Volt starken Stromschlag in den Arm jagt und dir so ganz einfach deine schlechten Gewohnheiten abtrainiert.

Anzeige

„Wear your Willpower" hat das fünfköpfige Entwicklerteam aus den USA ihr Konzept getauft. Verbunden mit einer Smartphone-App wird die Selbstzüchtigung und Konditionierung schließlich auch noch automatisiert. Als zusätzlicher Bonus können die Daten zur Selbstoptimierung gleichzeitig auch noch Peer-Pressure-kompatibel an Freunde gesendet werden, die dann die eigene Besserung überwachen. Alles was man braucht, ist ein USB-Anschluss zum Aufladen von Pavlok und rund 170 Euro für die Einsteigerversion.

Das Konzept scheint viele Menschen zu faszinieren. Auf der ​Crowdfunding Plattform Indiegogo haben die Entwickler im vergangenen Jahr knapp 250.000 Euro eingesammelt. Ab Mai werden nun die ersten 3.000 Armbänder der Betaversion von Pavlok verschickt. Die meisten gehen in die USA und Kanada, gefolgt von Deutschland.

‚Sie tasern sich also selbst', resümiert er ohne zu lächeln.

Meine Selbstverbesserung an eine Maschine zu delegieren klingt allzu verlockend. Also habe ich mir voller Vorfreude eine Testversion von Pavlok schicken lassen und meinen Alltag einer Elektroschock-Kur unterzogen. Fünf Tage lang würde das Hightech-Freundschaftsbändchen der beste Kamerad meines Egos auf dem Weg zu gleichermaßen gesteigerter Selbstachtung und Selbsthass sein.

​Quantified Suff: Mit Apps und Tracking zum selbstoptimierten Alkoholkonsum

Könnten 340 Volt tatsächlich eine Schnellstraße auf meinem Weg zu einem besseren Menschen sein? Oder zumindest eine Abkürzung, um wirkungsvoll meine schlechte Gewohnheiten abstrafen und loswerden zu können?

Anzeige
Die Autorin mit ihrem Pavlok-Armband.

Die Autorin mit ihrem Pavlok-Armband. Bild: Toon Heesakkers / VICE Netherlands

Die Liste der Sünden

Als ersten Schritt im Pavlok-Programm muss ich eine gnadenlose Liste erstellen, auf der alles notiert wird, was ich mir antrainieren oder abgewöhnen möchte.

Die Vorschläge von Pavlok gehen alle wesentlichen Zivilisationskrankheiten des 21. Jahrhunderts durch: Statt Nägel zu kauen, rauchen, fluchen oder Junk-Food zu futtern, sollten wir am Morgen rasch aufstehen, meditieren, sportlich sein und produktiv arbeiten.

Warum nicht die Verbesserung unseres Selbst an eine Maschine delegieren?

Während ich mir die offizielle Anleitung durchlese, fühle ich mich kurz an das Pädagogik-Konzept von Brave New World erinnert, wo Kleinkinder über einen elektrifizierenden Boden krabbeln müssen, um zu lernen, Bücher und Blumen instinktiv zu verabscheuen.
Nach einer absolut ineffizienten Ewigkeit habe ich meine Liste der Sünden fertiggestellt (Ja, Einsicht ist bisher keine meiner Stärken):

  • Weniger Kaffee. Wahrscheinlich komme ich auf ein knappes Pfund pulverisierter Espressobohnen pro Tag.
  • Kein unnötiges Chatten und endlich mehr Seiten in meiner Dissertation schreiben. Sich ständig auf zig Kanälen mit unzähligen Bekanntschaften zu unterhalten, lenkt mich schließlich nur vom eigentlichen wissenschaftlichen Arbeiten ab.
  • Meinen Konsum von digitalem Junkfood reduzieren. Das bedeutet bei mir weniger  Gif-Blogs, und auch weniger auf solch unterhaltsame Seiten wie Buzzfeed, Twitter oder Facebook zu klicken.
  • Endlich pünktlich aufstehen und mir die Qual des ständigen Snooze-Schlaf-Snooze-Schlaf Prozedere ersparen

Anzeige

Das Prinzip ist einfach: Jedes Mal, wenn ich zum Beispiel den Willen verpüre, Kaffee zu trinken, drücke ich stattdessen auf das Armband, um mir den disziplinierenden Stromschlag abzuholen. Mal kurz Blog nachlesen: Schock! Kurz Freunde anchatten oder tweeten? Schock! In fünf Tagen wird so alles gut, sagt mir der Pavlok Beipackzettel. Schock!

Los gehts. Der eingeschaltete Pavlok-Prototyp nach dem Auspacken. Bild: Toon Heesakkers

Tag 1 – Null Selbstkontrolle, 35 Elektroschocks

Heute geht es los, ich freue mich—bis ich Pavlok das erste Mal aktiviere, den Schlag spüre und zusammenfahre. Nicht vor Schreck, sondern weil das Band wirkliche eine physische Reaktion hervorruft. Meine Hand zuckt, das Kribbeln zieht sich entlang der Nervenbahnen bis zu den Fingerspitzen hinauf. Das habe ich mir harmloser vorgestellt und es gibt noch nicht mal eine Empfehlung zur Maximalanzahl an Schlägen. Vielleicht bin ich ja einfach nur ein schwacher Charakter und muss mich noch an die Züchtigungen gewöhnen.

Die Version von Pavlok, die mir die Macher zum Test zusandten, ist ein weniger glamouröser Prototyp. Eine per mini-USB aufladbare Batterie wird in ein schwarzes Plastikarmband eingesetzt, unterhalb liegt eine dünne Kupferfolie unverdeckt auf der Haut auf. Oben ist ein mit Blitz geschmückter Knopf, der aufleuchtet und das Band wie ein Harry-Potter Fan-Goodie wirken lässt.

Mein Prototyp ist die rudimentärste aller bisherigen Versionen—keine App und keine Freunde, sondern ich tracke und bestrafe mein Verhalten ganz allein. Ich drücke den Knopf, der Blitz leuchtet auf und kurz darauf setzt der Elektroschock ein. 340 Volt, das ist mehr als in Deutschland aus der Steckdose rinnt, für eine geschätzte halbe Sekunde. Angenehm ist anders.

Anzeige

Keinen Kaffee zu trinken, wird meine vielleicht größte Herausforderung.

Ich werde einen Großteil des heutigen Montags im Zug verbringen und nehme mir vor, intensiv zu arbeiten. Am Ende werde ich dann vor allem aus dem Fenster blicken und alle Timelines und Newsseiten so oft aktualisieren, bis wirklich nirgendwo mehr etwas ist, das ich nicht schon gesehen hätte.

Vor mir liegt ein ausgedrucktes Kapitel meiner Dissertation. Ich starre die Zettel an. In der Hand halte ich mein Smartphone mit schwarzem Bildschirm. Warum eigentlich? Wer dazu neigt, sich in der Kontrolle seiner Impulse zu überschätzen, setzt sich verstärkt seinen Versuchungen aus und schafft es nicht, abstinent zu bleiben— ​eine kognitive Verzerrung, der auch ich unterliege.

Es dauert keine zwanzig Minuten und ich entscheide mich für einen Stromschlag.

Es dauert keine zwanzig Minuten und ich entscheide mich für einen Stromschlag. Jedes Mal, wenn ich über den Bildschirm wische, klicke ich auf das Armband und zucke. Eine ältere Dame, die mit mir im Zug nach Amsterdam fährt, wirft mir verwunderte Blicke zu.

Der Name des High-Tech-Freundschaftsbändchens Pavlok ist selbstverständlich eine Hommage an den Wissenschaftler Ivan Pavlov. Auf den ersten Blick erscheint das Armband wie eine besser designte Version der klassischen Konditionierungs-Halsbänder, die der russische Verhaltensforscher an dem berühmten pavlovschen Hund erprobte. Das physiologische Pädagogik-Konzept vom Anfang des 20. Jahrhunderts, nach dem sich der Mensch durch Schmerzen und Belohnung am nachhaltigsten züchtigen lässt, ist bei dem Armband nicht zu übersehen.

Anzeige

Gleichzeitig passt Pavlok perfekt zur allgegenwärtigen Sehnsucht nach Selbstoptimierung, die mit Smartwatches, Quantified Self und Wearable-Fitness längst von einer eigenen Gadget-Kategorie bedient wird.

In seinem Spätwerk Anfang der 1980er hat der französische Philosoph Michel Foucault die „Sorge um sich Selbst" zur höchsten aller menschlichen, kritischen Tugenden erkoren, auf denen sich eine emanzipatorischere Gesellschaft bauen ließe. In Zeiten in denen wir alle leistungsstarke Mini-Computer in unseren Taschen herumtragen, klingt es allzu verlockend, die Verbesserung seines Selbst an eine Maschine zu delegieren, statt sich selbst in mühseliger Arbeit darum zu kümmern.

Immer wieder kommt der freundliche Kaffeeservice mit seinem wohlduftenden Wagen vorbei. Das erste Mal als er seine Heißgetränke den Gang entlang schiebt, versetze ich mir prophylaktisch einen Stromschlag zur Abwehr böser Gedanken. Das Stirnrunzeln meiner Sitznachbarin vertieft sich.

 Nach einigen Stunden zeigen sich die ersten Spuren von Pavlok auf meiner Haut.

Nach einigen Stunden zeigen sich die ersten Spuren von Pavlok auf meiner Haut.

Ich versuche daraufhin das Band unauffälliger zu betätigen. Beim dritten Mal bestelle ich dann doch einen Kaffee. Auch egal, wenn ich mich sowieso schocke. Am Ende des Tages bin ich mir immerhin meines schwachen Willens bewusst. Als Belohnung juckt meine Haut unter dem Band und leuchtet rötlich.

Bilanz: 35 Elektroschocks.

Körperliche Folgen: Rötliche, juckende Haut am Handgelenk.

Fails: Einen Espresso getrunken, 34 Mal im Internet prokrastiniert.

Anzeige

Erfolgserlebnisse: Sieben Espresso weniger getrunken als sonst.

Willenskraft: Leicht gesteigerte Konzentration auf das Wesentliche, weniger abgelenkt als sonst.

Tag 2 – Fehltritte und Ökoalternativen

Heute Morgen verschlafe ich eine dreiviertel Stunde mit dem Snooze-Modus meines Weckers. Ist das eine schlechte Gewohnheit, ein Symptom von Erschöpfung oder das erste Anzeichen, dass ich meinen freien Willen schon einem Armband überantwortet habe?

Nichts wollte mich früher aus dem Bett bringen: Weder das Verstecken meines Mobiltelefons hinter Kleiderkästen, noch ein wegfahrender Wecker, den ich jagen muss, um zu Verhindern, dass sich die penetrantesten Klingelvariationen in voller Lautstärke entfalten.

Es wäre schön, wenn Pavlok mir helfen könnte, endlich besser aufzustehen. Das Band neben dem Bett liegen zu lassen und es mir morgens für einen Stromschlag überzuziehen ergibt keinen Sinn, das vergesse ich. Pavlok die ganze Nacht zu tragen, führt allerdings dazu, dass ich dreimal schlagartig aufwache, weil ich mich auf das gute Stück drauflege und mir so einen Schock verpasse.

Die Verkaufsversion von Pavlok ist an eine App geknüpft und sieht als Weckfuktion ein Stufenverfahren vor. Zuerst ein Vibrieren, dann ein Geräusch und wer noch weiterschläft wird per Elektroschlag in den Tag katapultiert. ‚Morgenrituale optimieren' ist der schöne Ausdruck, den Chris Schelzi vom Pavlok-Entwicklerteam dafür verwendet. Er erzählt mir, wie er sich seinen Morgen mit dem Armband nach seinen Ideen gestaltet hatte.

Anzeige

Sein Szenario erinnert an die perfekte Version eines überambitionierten Alltagsdrills: Aufstehen, ein Schluck Wasser, Dehnen, Meditation. Wenn er einen dieser Schritte vergessen habe, habe er sich einen Schlag verpasst und so inzwischen seinen Traum einer perfekten morgendlichen Erwachensroutine verinnerlicht.

Im Umgang mit anderen Menschen ist das Band nicht ohne Tücken. Es beginnt in einem kleinen Elektrohandel in dem ich mir ein Mini-USB Kabel besorgen möchte, um Pavlok aufzuladen. Der Händler nimmt mir das Band ohne zu fragen aus der Hand und bevor ich Zeit habe etwas zu sagen, hat er sich selbst geschockt.

Er lässt es fallen, flucht und hört sich mit Stirnrunzeln meine Erklärung an. ‚Sie tasern sich also selbst', resümiert er ohne zu lächeln.

Sport wird belohnt.

Ein anderes Mal beweist Pavlok seine soziale Inkompatibilität als ich in einem Amsterdamer Rollerderby Shop sitze. Während ich die Schuhe probiere, geht das verdammte Gerät wieder los. Der Pfeil leuchtet gelb und ich krieg es nicht mehr rechtzeitig vom Handgelenk. Die Verkäuferin lacht wenigstens nach meiner Erklärung, es erinnert sie ‚an das Gummiband, bei dem sich manche für Gedanken bestrafen'.

Noch so etwas, das an mir vorbei gegangen ist. Eine Psychologin erklärt mit, dass das Gedanken-Gummiband nicht nur im Spirit von Selbstbestrafung verwendet wird, sondern auch auch in der therapeutischen Arbeit mit Borderline-Patienten. Autoaggression lässt sich so in andere, kontrollierte Bahnen lenken.

Anzeige

„Pavlok ist die Version des 21. Jahrhunderts der Gummiringe", erklärt mir Entwickler Chris. „Ich habe schon mit einem Psychiater gesprochen, der sehr daran interessiert ist, Pavlok für seine sich selbstverletzenden Patienten einzusetzen. Pavlok würde ihnen ermöglichen, mit einem kontrollierten Schock zu ersetzen, was die Patienten sonst mit rabiateren Maßnahmen tun, um sich lebendig zu fühlen.'

Was meine eigenen Vorhaben betrifft, bin ich ein wenig erfolgreicher als am Vortag. Ich habe heute mit niemandem digital kommuniziert, denn jedes Absenden einer Nachricht mit einem Stromschlag zu ersetzen, ist ja quasi wie eine durchgehende Elektrifizierung. Stattdessen hänge ich ewig auf Twitter, Facebook und Google+ ab, habe aber nur die Walls leergelesen ohne weiterführende Links anzuklicken. Mein Informationsstand ist somit auf Headlines abgesunken, was meinen Smalltalk Qualitäten indirekt sicher gut tut.

Kaffee habe ich keinen getrunken, was sich in dieser Nacht jedoch als eine kleine Katastrophe bemerkbar machte, weil ich in meiner Dissertation keinen brauchbaren Absatz zusammengebracht habe—nur einige handgekritzelte Zeichnungen zieren das Disskapitel, das ich eigentlich gerade bearbeite.
Vor dem Einschlafen lege ich das Band ab, noch so eine Nacht kann ich mir sparen.

Bilanz: 25 Elektroschocks.

Körperliche Folgen: Mein Handgelenk juckt weiterhin, Augen brennen, Kopfweh, Müdigkeit.

Anzeige

Fails: Beim pünktlichen Aufstehen ist mir Pavlok keine Hilfe. Ich belästige unschuldige Mitmenschen mit dem Band.

Erfolgserlebnisse: Weniger Zeit damit verbracht Freunden Smilies zu schicken.

Stärkung der Willenskraft: Mein Wille richtet sich nur noch darauf, nicht auf der Tastatur einzuschlafen.

Tag 3 – Zu geschockt zum Denken

Ich mache mich auf in meinen Arbeitsraum an der Uni Twente, um endlich herauszufinden, wie mir Pavlok helfen wird, mit voller Konzentration und höchster Geschwindigkeit meine Dissertation fertigzustellen. Das Band wirkt ja bereits Wunder gegen mein Trödeln beim Chatten, meine digitale Gesprächigkeit ist ebenfalls bereits geheilt und mein andersweitig prokrastinierender Freundeskreis beginnt sich Sorgen zu machen. Dafür habe ich ein paar Anrufe mehr erhalten (ob das wirklich besser ist als Chatten, weiß ich allerdings noch nicht) und mehr private E-Mails geschrieben. Ich schwindle mich durch mein Bestrafungssystem: Nur ein Elektroschock pro E-Mail bzw. Telefonat.

Der Haken an der Sache ist, dass Prokrastination ja nicht unbedingt immer handlungsorientiert sein muss. Nun sitze ich eben da und starre in den niederländischen Regen. Ich surfe in Gedanken vor mich hin und führe statt Chats innere Dialoge—und komme doch noch nicht recht voran mit meinem Kapitel in dem ich mir über unsere Relation zur vernetzten Dingwelt Gedanken machen sollte.

Erst vor kurzem habe ich ​Write or Die getestet, eine Anwendung, die versprach, mich zur hochproduktiven Schreibmaschine werden zu lassen, indem anhand der Anzahl von Worten eine Bestrafung stattfindet oder auch nicht. Bestraft wurde ichallerdings nur durch Geräusche (Kakophonie, Alarm, oder ‚Horrible') bzw. Bilder wie Spinnen, Grumpy Cats und ‚Office Horror'. Gebracht hat es mir nichts.

Anzeige

Pavlok lässt sich praktisch am Laptop aufladen und ist so ideal für den modernen Büro- oder Schreibtischarbeiter von heute: „You can even charge your PAVLOK while wearing it on your wrist and typing on your computer!", verspricht die Broschüre.

Klingt vielversprechend in den Ohren von jemandem, der sich eigentlich vorgenommen hat, innerhalb dieses Jahres eine erste Version der Dissertation fertig zu stellen. Nach drei Tage ist mein Kopf aber vor allem voll damit, dass ich Kaffee vermisse, dass ich müde bin, leer meinen Bildschirm anstarre und die Zeit einfach nur verstreichen lasse.

Bilanz: 15 Stromschläge

Körperliche Folgen: Mein Handgelenk ist rötlicher geworden, leichte Pusteln bilden sich.

Fails: Nur fünf Absätze geschrieben, weit entfernt von einem guten Tag.

Erfolgserlebnisse: Keine

Stärkung der Willenskraft: Manche würden sagen ich habe besser kommuniziert, weil telefoniert.

Tag 4 – Freunde entscheiden lassen

„Vor einigen Jahren habe ich eine Frau angestellt, die mich ins Gesicht schlagen sollte, sobald ich Facebook benütze", erzählt einer der Mitgründer von Pavlok Maneesh Sethi. Seine Produktivität sei um das Vierfache angestiegen, beschreibt er seine Motivation das Pavlok-Armband zu entwickeln.

Mein Experiment wird langsam ein wenig eigenartig, so wie ich mich benehme. Ich sitze im Caféhaus, schlecht gelaunt, weil ich nicht weiß was ich für ein Getränk bestellen könnte außer Kaffee. Die Tische stehen eng aneinander, neben mir ein Pärchen, das lachend miteinander verschlungen Kaffee trinkt. Zwischen Pavlok und mir ist immer noch kein Gewöhnungseffekt eingetreten.

Anzeige

Ich zucke jedes Mal aufs Neue, wie ein getaserter Hamster. Irgendwie habe ich gerade keine Lust meine Schocks mit allen anderen zu teilen und schleiche kurz auf die Toilette, zappe mich, gehe zurück und bestelle zufrieden meinen Kaffee.

Meine fixe Idee einer Bonusoptimierung in dieser Woche muss ich deswegen auch verwerfen: Pavlok wird mir niemals eine bessere Gesprächskultur antrainieren. Denn wenn ich bei zu langem Schweigen merklich zuckend vor jemanden stehe, wird sich der Smalltalk wohl kaum verbessern. Und mich im Nachhinein dafür strafen, dass ich keinen geraden Halbsatz auf die einfachsten Fragen zusammen bringe, hat etwas von Selbstmutilation, das schaffe ich auch für ein Experiment nicht.

Irgendwie bin ich zwar gereizter als sonst, aber wirklich etwas an meinem Verhalten geändert habe ich nicht. Abgesehen vom Chatten: für jede einzelne abgeschickte Botschaft gibt es einen Stromschlag. Was sich verändert hat, ist eher, dass ich abwechselnd wütend auf Pavlok bin und auf mich, das ich das überhaupt mache. Ich muss meine Elektroschock-Kur an jemand anderes delegieren—mir wird das zu wirr.

In der Pavlok-Version, die schon im Mai auf den Markt kommt, lässt sich ein ausgeklügeltes Bestrafungssystem entwickeln und sogar deine Freunde dürfen nach Freischaltung ein Züchtigungssignal auswählen. Auch wenn diese Bandbreite an Funktionen bei meinem Prototypen noch nicht vorhanden ist, so lässt sich zumindest die Verantwortung für den Auslöser problemlos an meinen Bekanntenkreis auslagern. Die Freundin, die ich darum bitte, ihren Finger auf den Pavlok-Abzug zu setzen, ist irritiert. „Was machst du da eigentlich? Ist das der Fifty Shades of Grey Trend?"

Anzeige

Am heutigen Abend soll sie das Band kontrollieren, um die Elektroschocks auszulösen. Aber sie ist nicht zufrieden. Ihrer Meinung nach müsste das Signal gleich kommen, wenn ich mich zum Beispiel im Gesicht kratze: „Sonst wirst du dich nie ändern."

So im Gadget-Spiel denken wir gerne ohne ethische Grenzen, fällt mir auf, als sie ihre Gedanken zu Pavlok weiter ausführt: Das Band solle doch auch fix an mir angebracht sein, erst dann, wenn ich es weder kontrollieren noch los werden könnte, würde ich wirklich konditioniert werden, erklärt mir meine liebreizende Freundin. Die Zukunftsvision eines implantierten Pavlok lässt mich ein wenig schaudern.

Nach ein paar Getränken, wird der Ton sanfter und ein bisschen Sorge um mich ist aus ihren Worten sogar auch heraus zu hören. „Das ist Gewalt, das solltest du nicht machen, das passt irgendwie auch nicht zu dir. Du solltest deine Gewohnheiten freiwillig ändern, du bist doch sonst so eine selbstreflektierte Person." Im Laufe des Abends wird das Band eher zum Witz, ab und an ein Stromschlag und alle lachen.

Bilanz: 25 Schocks

Körperliche Folgen: Handgelenk juckt

Fails: Ich löse den Stromschlag aus und vollziehe die verbotene Handlung trotzdem.

Erfolgserlebnisse: Delegation meiner Konditionierung an Freundin.

Stärkung der Willenskraft: Gut, dass es Freunde gibt, die die Verantwortung übernehmen.

Tag 5 — Das Bestrafen prokrastinieren

Gut, am heutigen fünften und letzten Tag, habe ich vollständig prokrastiniert—auch meine Aufgaben mit Pavlok selbst. In der Früh habe ich schon vor mir hergeschoben, das Armband überhaupt anzulegen und die Schocks eben nicht auszulösen. Mein Handgelenk hat jetzt einige Tage lang gejuckt und ich war es irgendwie satt.

Stattdessen bin ich erstmals in den Supermarkt gegangen und habe eine rohe Hühnerkeule gekauft. Ich schnalle dem toten Tier das Armband um und löse ein paar Schockwellen aus, um zu sehen, wie sich Pavlok mit der Hühnerhaut verträgt. Zum Grillen reicht es nicht. Keine produktiv genutzte Zeit, aber wenigstens bin ich das Band für eine Stunde los geworden—trainiert es mir gerade neue absurde Ablenkungen statt Twittern oder Kaffeepausen an?

Anzeige

Mein Leben wie eine Gleichung zu behandeln, gefällt mir.

Am Abend setzt mein schlechtes Gewissen ein—es fühlt sich an, als habe ich das Band und meinen eigenen Willen heute einfach abgelegt. Ich mache eine Liste aller meiner Vergehen und Fehler des Tages. 24 schätze ich, wahrscheinlich rede ich mir auch das angesichts meiner Schwäche noch schön.

Das Leben wie eine Gleichung zu behandeln, gefällt mir. Ich setze mich und arbeite also in aller Ruhe diesen Tag ab, ein Schlag, ein Strich. So gesammelt merke ich, dass es einen gewissen Gewöhnungseffekt gibt, ein bisschen wie Schluckauf. Ich zucke noch, aber es überrascht mich nicht mehr. Als ich das Band abnehme, habe ich einen blauen Streifen an der Stelle wo die Batterie aufliegt.

Ich höre auf, mein Handgelenk fühlt sich furchtbar an, die Haut brennt, es juckt, und die mein Arm hat sich an der Stelle wo das Band auflag grün-bläulich verfärbt. Anscheinend wird bei der Version, die ausgeliefert wird, alles anders sein—weil sich das Metall nicht mehr direkt auf der Haut befindet. Die 340 Volt waren das Problem während der fünf Tage, erklärt mir Chris Schelzi abschließend. „You need to find your sweet spot", nennt er das. Ich habe die maximale Ladung ertragen müssen, in Zukunft soll die Schockstärke dann tatsächlich individuell reguliert werden können.

Bilanz: 24 Schocks in einer Stunde.

Körperliche Folgen: Verfärbtes, juckendes Handgelenk

Fails: Roller Derby Weltmeisterschaftsvideos ansehen, statt zu schreiben

Erfolgserlebnisse: Kein Kaffee, keine Social Media Seiten, kein Twitter

Stärkung der Willenskraft: Prokrastinierte Willenskraft

Wer will schon sein Buchhalter sein

Das erste, was ich nach dem Ende meines Experiments mache, ist mir einen Kaffee zu kochen. Dann setze ich mich und schreibe. Pavlok liegt neben mir. Waren das fünf Tage freiwillige Folter? Sich selbst auf diese Weise optimieren zu wollen, wendet sich nicht an einen inneren Helden, sondern an den Buchhalter. Dafür brauche es nur, wie die US-Journalistin Virginia Heffernan sagt, einen Computer oder ​eine gewisse Immunität vor Langeweile.

Dazu kommt wohl, dass ich nicht so recht daran glauben kann, dass der Mensch schlicht auf ein technisch konditionierbares Schmerzzentrum reduziert werden kann. Auch wenn sich Pädagogen längst bei der Kindererziehung von der Idee lösen konnten, mit Gewalt zu vorzugehen, so sehr glauben ja auch heute noch genügend Erwachsene daran, dass sie gezwungen werden sollten produktiver, sportlicher, gesünder und rundum entspannter leben zu müssen.

Pavlok hat meinen Alltag nach fünf Tagen nicht revolutioniert, aber immerhin erkenne ich, welche schönen Dinge ich mir eigentlich absurderweise alle abgewöhnen wollte. Meine Arbeit und mein Leben sind entspannter, wenn ich nebenher Gespräche digital vor sich hin plätschern lasse, den Tag nach Kaffeepausen strukturiere und mich nur mühselig aus dem Bett quäle.

Ein Armband das, statt mir Stromschläge zu verpassen, in Jubelschreie ausbricht, wenn ich es schaffe fünf Minuten nicht auf Twitter zu schauen, könnte ich im Gegensatz zum strengen Pavlok sofort als maschinellen Freund in mein Herz schließen.