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Wie eine für Twitter gefakte IS-Schlacht Saudis und Islamisten trollte

Kurz, bevor die Situation im beschaulichen Dorf Käseblase bei Karbala im Irak außer Kontrolle geriet, klärte der Schöpfer den Witz hastig auf.
Was tun mit der Käseblase? Krisensitzung bei der CNN. Bild: Ahmed Al-Mahmoud/ Twitter

Eigentlich ist Ahmad Al-Mahmoud ein seriöser Typ. Über seinen Account @IraqSurveys verbreitet und kommentiert der gebürtige Iraki von der englischen Hauptstadt aus Nachrichten über den Irak. Militär-News aus dem Kampfgebiet sind seine Spezialität. Seine 14,000 Twitter-Follower hält er zuverlässig mit wichtigen Infos über Gebietsgewinne des IS und Rückeroberungen der irakischen Milizen aus dem fragilen Inneren des Landes auf dem Laufenden.

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Doch am Dienstag den 2.6. hatte al-Mahmoud offenbar einen Clown gefrühstückt.

„Ich war einfach nur gelangweilt", erzählt er dem entgeisterten Moderator einer BBC-Radiosendung. „Wir waren in einer Art Nachrichtenvakuum. Zwei Tage lang kamen kaum Neuigkeiten aus dem IS, keine Neuigkeiten aus dem irakischen Militär und nichts aus den Unterstützergruppen. Ein Freund und ich quatschten online über Essen und endeten irgendwann beim Thema Käseblase. Das ist so ein Ding, das man mit Joghurt füllt, ganz lange schüttelt und dann bekommt man eine Art Käse oder Butter. Die Iraker nennen das shichwa. Das Wort könnte auch ein Dorf im Irak sein, dachten wir."

Also kicherte al-Mahmoud ein bisschen in sich hinein und twitterte: „Der Islamische Staat hat sich soeben aus Shichwa zurückgezogen."

Die meisten Irakis in @IraqSurveys Follower-Liste wussten natürlich sofort, dass das umkämpfte Dorf „Käseblase" ein Witz war und spielten fröhlich mit. Andere taten das eher unfreiwillig und fielen komplett auf die Fake-Schlacht rein. Als sich die Nachricht über die ausgedachten Kämpfe verselbständigte, legte ihr Erschaffer noch einmal nach und postete gephotoshoppte Standbilder von Fernsehstationen, die angeblich über die Schlacht in Käseblase berichteten; darunter CNN und Al-Arabiya.

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„Dann rollte das weiter. Menschen malten einen Punkt auf Landkarten in die Nähe von Karbala und sagten: so, hier liegt Shichwa. Es war wie bei SimCity: Sie haben sich eine Stadt ausgedacht, eine Schlacht ausgedacht und die ganze Geschichte drumherum auch", erzählt al-Mahmoud.

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Nach dem glorreichen Sieg der Milizen in Shichwa bezichtigen sich die ISIS-Fanboys gegenseitig des Verrats.

Ein Twitter-User veröffentlichte sogar eine detaillierte Karte des vermeintlichen Kampfgebiets:

Ein Iraker antwortet: „Eingekeilt zwischen Butterberg und Joghurthügel scheint der Fall Shichwas leider hoffnungslos besiegelt."

Doch selbst diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstand die Twittersphere, vermutlich abgestumpft von immer neuen Kriegsschauplätzen, keineswegs. Ob bewusst oder nicht; tausende von Menschen beteiligten sich an den erfundenen Kämpfen um Käseblase.

Al-Mahmoud will sich im gespaltenen politischen Umfeld des zerfallenden Iraks nicht positionieren. Er sagt, er sei gegen die momentane irakische Regierung, auf jeden Fall gegen den Islamischen Staat und auch gegen die schiitischen Milizen, die die irakische Armee unterstützen. Seine kleine Täuschung sollte vor allem die schiitischen Einheiten ärgern und testen, ob sie den Sieg ohne jegliche Anhaltspunkt für sich beanspruchen. Und natürlich bissen sie an: Schon nach wenigen Stunden verkündeten die ersten schiitischen Facebook-Accounts, dass der IS auf dem Rückzug sei und die Schlacht um Käseblase verloren habe.

„Jubel und Feierlichkeiten in Karbala nach der Befreiung von Shichwa!", twitterte einer. Von der Echtheit der Schlacht, die sich al-Mahmoud aus dünner Luft zusammengesponnen hatte überzeugte er nach einer Weile sogar Unterstützer des sogannten IS: „Nach dem glorreichen Sieg der Milizen in Shichwa bezichtigen sich die ISIS-Fanboys gegenseitig des Verrats", freut sich @mkubanji.

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Unterstützer des IS schworen Vergeltung. Militante Einheiten, die gegen den IS kämpfen, begannen, mit der Schlacht anzugeben. Und die Menschen in Saudi-Arabien begannen sich zu fürchten. Einer twitterte: „10 000 Flüchtlinge fliehen aus Shichwa nach Karbala". @aceace2020 aus Saudi-Arabien warnte leicht panisch, auch Nachbarstaaten würden bereits in den Krieg verwickelt: „Desaster: Saudische Armee muss Streitkräfte zügig an die irakischen Grenze mobilisieren und uns vor allem schützen, was aus Shichwa kommt!!!"

Die Schlacht um Käseblase ist entschieden—und IS-Unterstützer kündigen Rachefeldzüge an.

Doch der Witz geriet spätestens außer Kontrolle, als IS-Unterstützer Rachefeldzüge ankündigten. Nach zwei Tagen musste al-Mahmoud sein Experiment abbrechen und den Fake aufklären. „Es hat schon eine Weile gedauert, bis die Menschen aufhörten, über Shichwa zu twittern, besonders nach den gefälschten Fernsehbildern", gibt er im BBC-Interview zu.

Natürlich ist gezielte Desinformation lustig—aber nur, wenn man selbst der Urheber oder ein unbeteiligter Zuschauer ist. Doch für die Menschen, die auf soziale Netzwerke für ihre Nachrichten angewiesen sind, kann eine unverlässliche Info womöglich zum Verlust des eigenes Lebens führen; beispielsweise, wenn ein eigentlich umkämpftes Gebiet für sicher erklärt wurde. Der Moderator schimpft daher noch ein bisschen mit dem Autor der Trickserei—er habe das Vertrauen der Menschen missbraucht, so etwas sei gefährlich.

Doch @Iraqsurveys freut sich trotzdem über die Reaktionen: „Man könnte auch sagen: Warte mal, wenn ein Mensch so überzeugend so viel Theater auslösen kann, was machen dann wohl die richtig großen Player?", antwortet al-Mahmoud.

In jedem Fall hat al-Mahmout ein weiteres Mal bewiesen, wie schnell aus Social Media-Gerüchten konstruierte Wirklichkeit werden kann—und dass das erste Opfer des Krieges unabhängig vom Medium vielleicht tatsächlich die Wahrheit ist.