FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Das Kriegsspiel im Zeitalter seiner technischen Simulierbarkeit

Harun Farocki zeigt in Berlin seine Videoarbeit „Ernste Spiele“, in der er das ganze Ausmaß des Einsatzes militärischer Computerspiele untersucht.
Alle Bilder stammen aus der Videoarbeit „Ernste Spiele“ (Bilder mit freundlicher Genehmigung von Harun Farocki)

Schon lange belagern Kriegsbilder unsere alltägliche Wahrnehmung.

Kinofilme und Computerspiele bestimmen nicht nur unseren Blick auf die militärischen Konflikte der Gegenwart, sondern wirken längst aktiv am Kriegsgeschehen mit—sei es zur Rekrutierung von Nachwuchs, zur Vorbereitung des nächsten Militäreinsatzes, als Steuerungsprogramm von Drohnen oder zur Behandlung psychischer Nachkriegswunden.

Spiele, die nicht Unterhaltungszwecken oder einem Bildungsauftrag dienen, werden von der Computerindustrie als „Serious Games" bezeichnet. Der Künstler Harun Farocki untersucht nun in einer gleichnamigen Ausstellung in Berlin die Bedeutung der Ernsthaftigkeit künstlicher Spielwelten unserer Gegenwart.

Anzeige

Nach Überwachungsvideos aus einem Maximum Security Gefängnis und einem Film über die Glücksfabrik Shopping Mall widmet sich der renommierte deutsche Essayfilmer Farocki mit der vierteiligen Videoarbeit „Ernste Spiele" (2009-2010) im Hamburger Bahnhof dem Einsatz von Computerspielen im Militärsektor.

Die Zweikanal-Installation „Ernste Spiele I: Watson ist hin" (2010) bildet den chronologischen Auftakt der Videodokumentation. Sie zeigt eine Gruppe junger Soldaten, die in einem Seminarraum vor Computerbildschirmen sitzt und ein „Serious Game" spielt. Zur Vorbereitung eines anstehenden Kriegseinsatzes sollen sie auf dem Marinestützpunkt im kalifornischen 29 Palms ihre Fertigkeiten in der virtuellen Welt perfektionieren: in Militärjeeps durch die Kriegslandschaft fahren, Phantombilder stereotyper Feinde zusammenstellen und Sprengsätze an verwüsteten Orten platzieren.

Bei der Programmierung „dieses Animationsspiels wurden die geographischen und geodätischen Informationen detailgetreu wiedergegeben", erzählte Harun Farocki bei einem früheren Vortrag kurz nach der Fertigstellung seiner Videos. Jeder Schatten richtet sich nach der imaginären Sonne zum jeweiligen Zeitpunkt an dem betroffenen Koordinatenpunkt.

Die animierte Wüstenlandschaft wiederholt exakt die real existierenden afghanischen Gegebenheiten: Jeden Baum und jede Straßenkurve gibt es tatsächlich. Die Spielentwickler haben mit ihren Mitteln alles getan um den Rekruten das Gefühl von „Echtheit" haargenau wiederzugeben—auch wenn in reinen Unterhaltungsspielen wohl mehr Arbeitszeit in die Entwicklung einer überwältigenden Graphik investiert worden wäre.

Anzeige

Natürlich kommt es während des Spiels auch zum Tod eines virtuellen Doppelgängers des Rekruten. Während der reale Auszubildende Watson angesichts des Verlusts seines virtuellen Avatars leicht beleidigt wirkt, bekommt der Zuschauer die Absurdität dieser Kriegsvorbereitungen in aller Deutlichkeit vorgeführt.

Die von Farocki bis hierhin als natürlich aufgebaute Realität der Kriegssimulation gerät ins Wanken: „Bei all dieser Treue im Detail ist der Tod im Computerspiel etwas anderes als der reale", merkt Farocki dazu an.

Ein weiteres kriegsvorbereitendes Training wird dem Ausstellungsbesucher auf der nächsten Leinwand präsentiert: „Ernste Spiele II: Drei tot" (2010) zeigt Feldübungen der Soldaten mit 300 Statisten, welche die afghanische und irakische Bevölkerung darstellen sollen. Die Kulisse der Übung kämpft erneut mit beachtlichem Erfolg um Authentizität: „Es sah so aus, als habe man die Wirklichkeit einer Computer-Animation nachgebildet", so Farocki.

Aber schon beim ersten Zwischenfall—als der imaginäre Feind mit der Waffe in die Menschenmenge feuert—gerät auch hier das perfekt komponierte Bild aus den Fugen. Die in diesem Moment zum Mittagessen versammelten Statisten benehmen sich unverhältnismäßig leichtsinnig und beschäftigen sich erstmal weiterhin mit dem Essen anstatt zum sicheren Versteck zu laufen. Dieses kurze Moment wirkt auf verräterische Weise unrealistisch und offenbart die Illusion des Spiels.

Anzeige

Was bedeutet es, wenn eine ganze Kriegs- und Unterhaltungsindustrie versucht, den Krieg so nachvollziehbar und wohnzimmertauglich wie möglich zu machen? Inwiefern können Simulationen auf den echten Krieg vorbereiten? Farocki lässt solche Fragen offen. Anstatt moralischer Wertung geht es vielmehr darum, überhaupt das ganze Ausmaß von simulierten Kriegsbildern im Zeitalter ihrer Spielbarkeit erfassen zu können.

„Ernste Spiele III: Immersion" (2009) beleuchtet wiederum eine andere Einsatzmöglichkeit von „Serious Games", die wir auch schon mit unserer Motherboard-Dokumentation zur virtuellen Nachkriegsrealität gezeigt haben: Kriegsveteranen unterziehen sich mit Hilfe von Simulationen einer Therapie zur Verarbeitung ihrer Erfahrungen auf dem Schlachtfeld.

Motherboard-Dokumentation über die Therapie von posttraumatischen Belastungsstörungen mit Hilfe virtueller Realität.

Das Computer-Animationsprogramm „Virtual Iraq" lässt die traumatisierten Soldaten an ihren Einsatzort zurückkehren, ihre Erlebnisse erneut emfinden und schließlich bewältigen. Während die Trainingsmaßnahmen in „Watson ist hin" auf die Zukunft gerichtet waren, dient die Virtual Reality-Technologie hier dem Versetzen des Soldaten in die Vergangenheit.

Haben die Ausstellungsbesucher zu Beginn dieser Videoarbeit noch das Gefühl einer intimen Therapiesitzung beizuwohnen, so entlarvt Farocki auch diese Illusion technologischer Unmittelbarkeit: Als der Patient die Brille abnimmt, beginnt plötzlich ein unsichtbares Publikum zu applaudieren—wir haben nur ein Verkaufs-Event von „Virtual Iraq" für das Militär gesehen.