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Foodporn & Kokosnüsse: Forscher entschlüsseln Instagram-Codes der IS-Anhänger

Warum IS-Fans über grüne Vögel diskutieren? Eine Studie hat sich die Instagram-Codes der Anhänger des IS mal genauer angeschaut.
Gebetskette statt Kopfhörer! Screenshot Instagram

Die Motivation westlicher IS-Anhänger ist so unterschiedlich wie ihr Bildungs- und familiärer Hintergrund—sie entziehen sich einer einfachen Analyse. Was suchen sie in der radikalen Ideologie und wie lässt sich der Zulauf zum IS erklären und nachvollziehen? Wie kommunizieren die Dschihad-Rekruten in sozialen Netzwerken?

Das wollte die George Washington University in einer größeren Studie wissen, die analysieren sollte, wie sich junge Menschen radikalisieren. Dazu untersuchten die Forscher die Online-Kommunikationsmechanismen und Profile von Menschen, die aus westlichen Ländern stammen und sich mit dem IS identifizieren. Faszinierend ist dabei vor allem die Entlarvung der Geheimcodes, mit denen IS-Fans auf Instagram hausieren gehen und Informationen austauschen.

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Der Kontakt zu potentiellen Rekruten über Social Media hilft dem IS dreifach: Er löst bei einzelnen einen Radikalisierungsprozess aus oder treibt ihn voran, unterstützt die Gruppe bei der Mobilisierung neuer Rekruten bis nach Syrien, und ermuntert sie letztlich auch zu Anschlägen im Heimatland. Den Einfluss der einfach verdaulichen Propaganda in sozialen Medien unterstreicht auch eine ehemalige IS-Anhängerin, die in der Studie zitiert wird:

„Wenn dein Opa bei Al-Qaida war, musstest du erst rauskriegen, wo man das Inspire-Magazin überhaupt lesen kann. Wenn du mit einem Terroristen sprechen willst, schriebst du eine Mail an das Inspire-Magazin und hast gehofft, dass dir Anwar Al-Awlaki vielleicht antwortet (…)—heute hast du die ganze Propaganda und Kontakt zu Tausenden Terroristen [auf deinem Smartphone] in deiner Tasche. Du kannst die ganze Nacht mit einem Terroristen in Syrien hin- und herschreiben, und ganz besonders auf Teenager mit Problemen wirkt das total! Es wird schnell zu einem ständigen Hintergrundgeräusch, das in den sozialen Netzwerken auf dich einprasselt, und ist viel effektiver zur Radikalisierung als die Storys über Al-Qaida von deinem Großvater." Die IS-Fans nutzen nicht nur Twitter, sondern auch Instagram—eine Plattform, auf der ein viel informellerer und emotionalerer Umgang gepflegt wird. Syrische IS-Kämpfer haben so die Gelegenheit, ein scheinbar normales Leben im „Islamischen Staat" ins Netz zu projizieren. Die Absicht dahinter scheint die Normalisierung der radikalen Ideologien zu sein.

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Kokusnüsse für die Kuffar und Foodporn, um Informationen über Gefallene zu tarnen.

Auf Instagram werden daher wesentlich seltener als auf Twitte Folter- und Kriegsvideos aus dem Hause Al-Hayat, der Propaganda-Produktionsstelle des IS, gepostet. Viel häufiger finden sich auf dem ästhetischen Wohlfühlnetzwerk Instagram daher scheinbar harmlosere Bilder. Interessanterweise sind darunter auch Memes, in denen die Anleihen an die verpönte westliche Popkultur bzw. japanische Mangas sogar noch in einem girly Artwork mitschwingen:

„Bleib ruhig und sag: Ich will das Kalifat zurück" Bild: Screenshot Instagram

Straight outta dawlah (Islamischer Staat). Screenshot Instagram

Auch, weil die Anhänger des IS auf die stärkeren Kontrollen von Seiten der sozialen Netzwerke reagieren wollen, weichen sie auf unverfängliche Symbolik aus. Neben den offensichtlicheren Erkennungsmerkmalen wie Schwarzen Flaggen gibt es noch einige andere Symbole, die häufig von den IS-Fans zur gegenseitigen Identifikation benutzt werden:

  • Grüne Vögel: Der Begriff „grüner Vogel" steht für getötete Märtyrer, die das Paradies erreichen. Der Begriff ist eine Referenz aus einer Hadith, die die Tugenden des Märtyrertums preisen soll. Die gefallenen Kameraden werden so als Vögel stilisiert, um sie als fromme, vertrauensvolle Muslime dazustellen. Ein weit verbreitetes Emoji ist der grüne Kreis in Verbindung mit dem Vogel oder das grüne Herz, die häufig im Profil der Nutzer zu finden sind, um die Idolisierung der Selbstmordattentäter („Märtyrer") darzustellen.
  • Kokosnüsse: ein abwertender Begriff für Kuffars oder (aus Sicht des IS) Ungläubige. Damit sind keinesfalls nur Nicht-Muslime gemeint: Der Begriff wird auch für muslimische Führer verwendet, die den IS verteufeln. Auch Sunniten und Schiiten beschimpfen sich gegenseitig auf Instagram und Twitter als Kokosnüsse.

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  • Löwen: Häufig benutztes Symbol, steht für Kampfbereitschaft
  • Akhis & Ukthis: Steht für Schwestern und Brüder. Rund ein Drittel aller untersuchten englischsprachigen Instagram- und Twitter-Accounts werden scheinbar von Frauen betrieben, während der Großteil der IS-Unterstützer typischerweise männlich ist. In der Bildsprache mischen sich oft mädchenhaftere Symbole wie Blumen mit der Symbolik der IS-Flaggen. Die „weiblichen" Accounts transportieren das Weltbild der Islamisten oft schon implizit in der Profilbeschreibung mit: „Keine Direktnachrichten von Akthis bitte, Ukhtis, schreibt mir doch mal!"—interessierte Frauen (Schwestern) werden damit ausdrücklich ermuntert, per Privatnachricht mehr zu erfahren und in Kontakt mit der IS-Anhängerin zu bleiben.

  • Foodporn: Bilder von gemeinsamem Abendessen im „Kalifat" oder gefüllten Töpfen werden häufig dafür verwendet, um aktuelle Berichte über Gefallene beziehungsweise über Überlebende von Bombenattentaten und andere Nachrichten vom Schlachtfeld zu verbreiten. Diese Informationen sind meist erst in der Beschreibung sichtbar und damit weniger offensichtlich als Fotos von Kriegsgerät und Kämpfern. Sie dienen außerdem dem geneigten Dschihad-Rekruten als Versicherung, dass es ihm im sogenannten Islamischen Staat durch die Fürsorge und Geborgenheit innerhalb der Kämpfer an nichts fehle.

Die Nachricht scheint hier zu sein: Der Akrobatikflügel des IS hat superviel Spaß im Kalifat und findet 1000 Wege, eine Flagge wehen zu lassen. Screenshot: Instagram

Spätestens seit Anonymous zum Kampf gegen den IS-Terror aufgerufen hat und unter dem Banner #OpISIS (mit mäßigem Erfolg) versucht, die Konten der Anhänger sperren zu lassen, folgen die Social Media-Präsenzen einer gewissen Systematik. Insgesamt identifiziert die Studie drei verschiedene Account-Typen, die die IS-Anhänger nutzen, um den Propagandafluss trotz der häufigen Suspendierung von Konten aufrecht zu erhalten:

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Nebenbei versuchen die IS-Anhänger laut der Studie, Unterhaltungen wie sie unter dem Hashtag #blacklivesmatter über Polizeigewalt gegen Schwarze geführt wurden, zu kapern, um die Wut anderer für die eigene Ideologie zu nutzen und schwarze Muslime für sich zu gewinnen.

Die Forscher glauben nicht, dass Algorithmen und das Melden von Accounts der Flut der Propaganda Herr werden können.

Sarah Gilkes, Co-Autorin der Studie und Professorin im Extremismus-Forschungsprogramm der George Washington University, glaubt nicht an Algorithmen, um der Flut der Propaganda Herr werden zu können. Das sei im schlimmsten Falle kontraproduktiv, so die Extremismusforscherin: Gerade das Melden von Twitter-Accounts würde Nutzer auf eine von hunderten IS-kuratierten Blocklisten setzen, für die mittlerweile ganz Websites gepflegt werden.

Aus dem Blickfeld der geblockten User verschwunden, kommuniziert der IS seine Weltsicht munter an die restliche Instagram- und Twittercommunity ungestört weiter. Um ihre Nachrichten schnell zu verbreiten, nutzen die IS-Supporter die Dienste der Website Block Together sowie Twitterlisten von Kritikern. Laut Gilkes brauche es wache Menschen, die die Bilder und ihre Bedeutung schnell identifizieren können und sie im Gegensatz zur bloßen Meldung der IS-nahen Accounts mit einem Gegennarrativ kontern können.