Fahndungsfotos von Andreas Baader und Ulrike Meinhof, namesgebend für den Baader-Meinhof-Effekt

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Das Baader-Meinhof-Phänomen wird dich noch die ganze Woche verfolgen

Nein, es geht nicht um die Geister der RAF, sondern um eine unangenehme kognitive Verzerrung.

Unsere Welt lässt sich in zwei Gruppen von Menschen aufteilen. Diejenigen, die wissen was das Baader-Meinhof-Phänomen ist und diejenigen, die noch nie etwas davon gehört haben. Allerdings gehört die unwissende Gruppe in diesem Moment auch schon zu den Wissenden, da ihnen das Baader-Meinhof-Phänomen vermutlich schon bald wieder begegnen wird.

Das Phänomen hat nämlich nichts mit den Taten der RAF zu tun, sondern bezeichnet eine verführerische kognitive Verzerrung: Das BMP ist der angsteinflößende Name für den subjektiven Eindruck, dass ein bestimmtes Thema, das dir gerade erst neu erscheint, plötzlich überall auftaucht.

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Falls dir diese Erklärung wahrnehmungspsychologisch noch zu kompliziert ist, so veranschaulichen wir das Phänomen gerne noch einmal anhand einiger lebensnaher Beispiele:

  • Du kaufst dir eine tolle, wahnsinnig individuelle Vintage-Jeans, plötzlich läuft jeder in den gleichen Hosen herum.
  • Du verabredest dich mit ein paar Freunden für ein Festival und auf einmal erfährst du auch von zahlreichen anderen Leuten, dass sie dorthin gehen wollen.
  • Seitdem du deine Leidenschaft für das Kochen von Marmelade entdeckt hast, scheint irgendwie jeder Marmelade zuzubereiten.

Durch verschiedene Zufälle gelangst du an einen unbekannten Song von Georg Kreisler. Nach einem ersten andächtigen und stolzen Moment fällt dir auf, dass das Lied scheinbar ständig im Radio läuft.

All diese Ereignisse haben einen merkwürdigen, fast schon mystischen Beigeschmack und es scheint an Hexerei zu grenzen, dass gerade diese seltsamen Dinge plötzlich überall auftauchen. Es sind immer ungewöhnliche Gegenstände, die mit einem Mal deine Aufmerksamkeit auf sich ziehen: ein aus der Mode gekommenes Wort, ein ausgefallenes Kleidungsstück, ein verschollen geglaubter Song oder eben eine terroristische Gruppe wie die RAF. Hollywood-Blockbuster, Charthits oder politische Krisen sind dabei ausgenommen, da eine Häufung dieser Themen ja auch wirklich stattfindet.

Es könnte sich um lustige Spielereien des Schicksals oder reine Zufälle handeln, doch es gibt auch eine handfeste psychologische Erklärung aus der kognitiven Wahrnehmung. In der Rezeption unseres Alltags blenden wir 90 Prozent der auf uns einprasselnden Eindrücke aus und lassen lediglich eine kleine, für uns relevante Auswahl, in unser Bewusstsein vordringen. Sobald eine neue Information den Weg zu unserem Interesse findet, wird die Filterung für dieses Thema aufgehoben.

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Die Verwendung der Namen von Andreas Baader und Ulrike Meinhof hat inhaltlich nichts mit dem Phänomen an sich zu tun. Der Begriff entstand 1994 als ein Forums-Mitglied in einer Online-Diskussion seine kognitive Selbstbeobachtung als Baader-Meinhof-Phänomen bezeichnete, nachdem er innerhalb von 24 Stunden permanent mit Geschichten über die RAF bombardiert wurde und plötzlich überall die deutschen Terroristen aus den 1970er Jahren aufzutauchen schienen.

Der Ursprung der Bezeichnung findet sich angeblich in der St. Paul Pionier Press, einer Tageszeitung aus Minnesota. Dort hat ein Mann namens Terry Mullen vor 20 Jahren Folgendes in das Forum der täglichen Kolumne Bulletin Board geschrieben:

„Vor vielen Jahren identifizierte ich ein Phänomen, das ebenso überraschend wie breit in seiner Anwendung ist. Es umfasst aktuelle Besonderheiten wie die Zahl 23, aber auch andere Zufälle—ich taufte es, nach den berüchtigten deutschen Terroristen, das Baader-Meinhof-Phänomen. Dieses tritt folgendermaßen auf: Sie hören zum ersten Mal ein neues Wort, eine Phrase oder eine Idee und werden innerhalb der nächsten 24 Stunden noch weitere Male in Printmagazinen und -Zeitungen darauf stoßen. (Dabei geht es jedoch nicht um aktuelle Gesprächsthemen und News, sondern um obskure Wörter etc.)"

Bei dem Baader-Meinhof-Phänomen handelt es sich also um eine kognitive Verzerrung, die ein vermehrtes Auftreten des Gegenstandes suggeriert. Unser Gehirn hat die großartige Fähigkeit, Muster nahezu perfekt zu erkennen und wählt in den tausenden von Angeboten selektiv aus. Wir Menschen können uns die Häufigkeit von Zufällen normalerweise kaum vorstellen, erst wenn das Gehirn seine Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Phänomen lenkt, wird uns die permanente Präsenz des Themas bewusst. Die unterschiedlichsten Quellen konfrontieren uns auf einmal damit.

Es gibt sogar eine Facebook-Gruppe, die sich dem Baader-Meinhof-Phänomen widmet. Der geplante Thriller zu dem Kognitionsphänomen konnte jedoch nicht produziert werden, da die Finanzierung über Kickstarter leider fehlgeschlagen ist.

Das Beruhigende ist jedoch: Wenn also demnächst jemand mit dem selben originellen Blumenprint-Hemd begegnet, bedeutet das nicht, dass sich die ganze Welt gegen euch verschworen hat. Es ist einfach nur das Baader-Meinhof-Phänomen.