Wie ein Rollstuhlfahrer die weltgrößte GPS-Mona-Lisa auf die Ostsee gesegelt hat
Alle Bilder (wenn nicht anders angegeben): Jan Vollmer

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Wie ein Rollstuhlfahrer die weltgrößte GPS-Mona-Lisa auf die Ostsee gesegelt hat

Lasse Klötzing kann zwar seine Beine nicht mehr bewegen, aber er fährt mit einem der schnellsten Katamarane der Welt Kunstwerke in die Kieler Förde.

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Als mich das Schlauchboot auf dem Rennkatamaran in der Kieler Förde absetzt, lachen erstmal alle freundlich: „Komm, setzt dich da vorne hin, die Füße kannst du da unter den Gurt klemmen. Da kannst du dich festhalten. Helm? Zieh den mal auf, alles klar, geht los." Dann zieht Justus Schmidt, deutscher Meister im 49er Skiff, das Großsegel an. Der Rennkatamaran stellt sich auf eine Kufe, beschleunigt auf 50 km/h und hebt sich dann auf einer Art Ausleger noch einmal anderthalb Meter aus dem Wasser. Das fühlt sich ungefähr so kontrolliert an, wie ein Auto, dass auf zwei Rädern um die Kurve fährt. Lasse Klötzing, der Skipper kann sich auf dem Katamaran allerdings nicht mit den Beinen unter dem Gurt einhaken. Seine Beine liegen bei 35 Knoten und gefühlten 90 Grad Kränkung auf dem Netz, das zwischen den Rümpfen gespannt ist. Er lenkt mit der Linken und hält sich mit der Rechten an einem der Wandten fest.

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Ich bin mit der Krankheit in eine gute Zeit geboren worden.

Lasse Klötzing kann nicht mehr laufen. Der 23-Jährige hat die Nervenkrankheit HMSN – Signale, die sein Gehirn sendet, kommen nicht mehr bei seinen Muskeln an. Die Muskeln bilden sich zurück, weil sie nicht mehr benutzt werden. Das hält ihn aber nicht davon ab, einen Rennkatamaran auf einer Kufe auszubalancieren, bei der deutschen Meisterschaft in seiner Klasse, dem 2.4mR, den zweiten Platz zu belegen oder im deutschen Segelnationalteam die tschechische Meisterschaft zwei mal zu gewinnen. Vor einer Woche war Lasse auch bei der  Weltmeisterschaft in Santander am Start.

Lasse und seine Teamkollegen bei der Vorbereitung. Alle Bilder (wenn nicht anders angegeben): Jan Vollmer.

Das Endergebnis: Die GPS-Mona-Lisa in der Kieler Förde. Bild:  Screenshot Firstsailedmonalisa

Die  Krankheit HMSN wurde bei Lasse diagnostiziert, als er fünf Jahre alt war. „Ich bin mit der Krankheit gewissermaßen in eine gute Zeit geboren worden," erzählte mir Lasse als er neben mir her zum Katamaran rollt, der am Steg des Kieler Olympiazentrums liegt. Der Krankheitsverlauf ist nicht absehbar. Erst in der vergangenen Woche ist ihm aufgefallen, dass er seinen linken Daumen nicht mehr richtig beugen kann.

Vieles von dem, was Lasse nicht mehr mit Muskelkraft machen kann, ersetzt er mit Technik. Für den Druckpunkt von älteren Handytasten reicht die Kraft in seinen Fingern nicht mehr—mit Touchscreens dagegen kommt er gut zurecht.

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In Lasses Leben treten gewissermaßen technischer Fortschritt und der Muskelschwund gegeneinander an. Bei der Fussball-WM in Brasilien hat ein Querschnittsgelähmter  mit einem Exoskelett den ersten Ball angestoßen—allerdings noch in einem Prototypen. Je nach dem, wie schnell sich die Technik entwickelt, kann sie das Verschwinden von Lasses Muskeln ausgleichen. Am Institut für Biorobotik der Hochschule Sant'Anna in Pisa wird bereits an Cyberlegs geforscht und ein einbeiniger Freund von Lasse hat jetzt schon eine Knieprothese, die die Bewegungen seines Knies so exakt nachempfindet, dass man sie unter einer Jeans nicht als Prothese erkennen würde. Wenn der Akku alle ist, wird das Knie allerdings steif und er humpelt wieder. Abends hängt er das Knie an die Wand und lädt es auf, wie sein iPhone.

Es ist auch keinen Zufall, dass Lasse neben seiner Segel-Karriere Maschinenbau studiert: Als er die Schot, die Leine, mit der das Segel kontrolliert wird, nicht mehr fest genug halten konnte, um daran zu ziehen, hat er begonnen sie sich um das Handgelenk zu wickeln. Seit das nicht mehr geht, hilft ihm eine Maschine dabei.

Er hat die Technik für sein eigenes Boot, eine  2,4mR, selbst entworfen. Statt an der Shot zu ziehen, kann er sie jetzt mit einem Hebel pumpen, um das Segel zu spannen. Vor kurzem ist noch eine Apparatur hinzugekommen, die ihm mit dem Vorsegel hilft. Letztendlich passieren die wichtigsten Dinge beim Segeln im Kopf.

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Lasse Klötzing beim Training

Der Katamaran beim Anstrich und den Vorbereitung in der Werkstatt. Bilder: Lennart Wilkens

Wenn die Technik weit genug wäre, könnte man ein Boot theoretisch auch mit Gedanken kontrollieren, wie es die Technik des  Brainflight für Piloten vorsieht. Lasse trainiert die Muskeln, die auf ihn hören, so gut er kann. Für alles, was damit nicht geht, versucht er eine Lösung zu finden, wie mit der Schot auf seinem 2,4mR.

Lasse steuert bei  Firstsailedmonalisa den Katamaran. Er sitzt dabei hinten auf einem der Rümpfe und hält die Ruderpinne, mit der der Katamaran gelenkt wird. Wenn der Wind zu sehr presst, übernimmt Coskipper Erik Heil und Lasse prüft statt dessen mit einem wasserfesten Notebook, der auf dem Katamaran angebracht ist, ob sie auch die Koordinaten treffen.

Das Gefährliche an einem Great Cup Rennkatamaran ist nicht das Risiko über Bord zu gehen und zu ertrinken. Zumindest bei Regatten sind genug Schlauchboote unterwegs, die einen sofort herausfischen würden. Das Gefährliche an einem Great Cup Katamaran ist, dass du über Board gehst und die scharfen Carbon-Kufen dir den Kopf oder vielleicht ein Bein abschneiden.

Freitag macht der Wind der Crew ganz schön zu schaffen. Er ist so stark, dass Lasse und co. an die Belastungsgrenze des Katamarans gehen und die langen Linien wie zum Beispiel die äußeren Umrisse ziemlich schnell gezeichnet kriegen. 16 Prozent der ganzen Mona Lisa schaffen sie in knapp drei Stunden.

Alle GPS-Punkte, die ein bisschen weiter draußen auf der Ostsee liegen, verschiebt die Crew allerdings auf den nächsten Tag. Die abrupten Böen könnten den fragilen Kat leicht umschmeißen.

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Eine Crew an Land kontrolliert die Einhaltung der Route und das Vorankommen des Katamarans.

Man darf sich Lasse und seine Crew allerdings nicht wie die sportliche Variante der Kombination Rollstuhlfahrer + Sozialarbeiter vorstellen. Segeln ist ein taktischer Sport und taktisch ist Lasse mindestens genauso fit wie seine Kollegen. Er braucht nur ein bisschen länger von der einen Seite des Katamarans auf die andere, weil er sich eben mit den Händen rüberzieht.

Lasse ist jemand, der die eigene Behinderung mit Humor nimmt. Es kommt schon mal vor, dass er für Fotos eine Stephen-Hawking-Grimasse schneidet. Manchmal bleibt er auch mit seinem Rollstuhl vor einem Bordstein stehen. Wenn der Rest der Gruppe ein paar Meter weitergegangen ist, ruft er: „Und den Behindi lasst ihr zurück oder was." Natürlich kommt er den Bordstein selbst hoch. Er könnte wahrscheinlich auch seitlich mit dem Rollstuhl auf einen Bürgersteig springen. Aber das ist eben sein Humor.

Als der Wind zu böig wird, um draußen überhaupt noch etwas mit dem Rennkatamaran zu segeln, kommt Lasse mit seiner Crew zurück an den Steg. Dann schraubt er sich ein drittes Stützrad vor den Rollstuhl und versucht sich mit einem Lenkdrachen auf dem Parkplatz im Rollstuhl-Kiten. Windkraft scheint sein Ding zu sein.

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