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30 Tage auf Soylent

Soylent ist eine grau-braune Pampe und die vermeintliche Zukunft der menschlichen Ernährung. Ich habe den Nahrungsmittelersatz in einem 30-tägigen Selbstversuch erprobt.

Deutsche Untertitel können im YouTube Player ausgewählt werden.

Es war mein zweiter Tag auf Soylent und mein Magen fühlte sich an wie ein sich langsam zusammenziehender Knoten. Ich war nicht wirklich hungrig, aber irgendetwas stimmte nicht. Ich fühlte mich müde, benommen und schwächlich—und ich fühlte ein unangenehmes Herzrasen. Sicher hatten auch meine NervenMitschuld an den Symptomen. Die Aussicht auf 28 weitere Tage Soylent-Diät trug nicht gerade zur Beruhigung meiner Psyche bei.

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Ich hatte mir vorgenommen länger als jeder andere Mensch zuvor (abgesehen von dem dem Soylent-Erfinder selbst), ausschließlich von dem Nahrungsmittelersatz Soylent zu leben. Mein Plan machte mich jetzt schon etwas wirr im Kopf.

Die Abmischung meines Soylent Drinks.

Wir waren auf den Weg ins Soylent Hauptquartier in Oakland, Kalifornien, wo der 25jährige Rob Rhinehart und sein Team an ihrem Konzept der Zukunft des Essens arbeiten. Angesichts einer stetig wachsenden Weltbevölkerung, und jährlich 600 bis 800 Millionen hungerleidenden Menschen, sind Visionen für günstige und nahrhafte Lösungen der Ernährungsfrage dringlicher nötig denn je.

Rob kam auf die Idee für seinen von Science Fiction inspirierten Nahrungsersatz durch seinen Alltag als hyperaktiver, wissenschaftsbessesener Student. Als inzwischen studierter Softwareentwickler war er zu arm, um in Restaurants zu essen, und hatte zu wenig Zeit, um für sich selbst zu kochen. Anstatt halbgarer billiger Fertiggerichte versuchte er sich also an einer effizienteren Lösung. Er analysierte die behördlichen Nahrungsstandards und offizielle Ernährungsratgeber—Berg's Biochemie war seine Bibel—und spürte eine grundlegende Zutatenmischung auf, die der menschliche Körper zum Funktionieren benötigt.

Das Soylent Crowdfunding Video sollte der Start eines erfolgreichen Geschäftsmodells sein.

Nach 30 Tagen meiner Soylent-Diät hatte ich 5 Kilo verloren. Mein Arzt erklärte mir, dass das sogar eine gesunde Veränderung sei, und dass mein Körperfettanteil um einen ganzen Prozentpunkt gesunken sei. Und wo wir schon dabei sind, möchte ich euch hier nicht die Details vorenthalten, was genau ich während meiner Diät meinem Körper zugeführt habe:

  • 30 Packungen Soylent, von denen jede eine Tagesration enthielt
  • 9 Bier
  • 1 Glass Weißwein
  • 2 geteilte Mischgetränke
  • 5 Tassen Kaffee
  • Eine Viertel Portion Nyquil
  • Der Saft von einer Packung Kaugummis mit Orangen Geschmack

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Das Kaugummi diente dem Training meines unterbelasteten und schmerzenden Kiefers. Und auf den Kaffee hatte ich zwar zunächst verzichtet, aber nach Rob's Aufmunterung meinen Koffeinkonsum nicht gänzlich aufzugeben, gönnte ich mir gelegentlich eine Tasse — aber alles in Maßen, denn auf Soylent wirkt Koffein wie Amphetamin.

Soylent hat seinen Namen von dem dystopischen Film Soylent Green.

Ich hatte mich schnell in meinem Soylent Modus eingerichtet. Es wurde für mich zu meiner Art mein Leben zu leben. Und wenn du ziemlich gleichgültig gegenüber Essen bist, wie Rob es zu sein scheint, dann kann dir ein Leben mit der klebrigen Pampe ziemlich viel Geld sparen. Für Rob macht sich das Hacker-Konzept, einer selbstbestimmten Unabhängigkeit von unserer etablierten Esskultur, noch auf andere Weise bezahlt: Sein Unternehmen hat kürzlich 1,2 Millionen Euro an Wagniskapital von Andreessen-Horowitz and Lerer Venturas erhalten; und das zusätzlich zu den Vorbestellungen im Wert von knapp einer Millionen Euro, die alleine im ersten Monat nach dem Geschäftsstart eingegangen waren.

Rob Rhinehart im Soylent HQ in Oakland, Kalifornien.

Meine erste Mahlzeit nach meiner Diät habe ich dann aber doch mit großem Heißhunger erwartet. Irgendwann wünschte ich mir nichts sehnlicher als ein fettes Stück Fleisch. Die meisten rieten mir es nicht zu übertreiben, mit Joghurt einzusteigen, und mit dem bewährten Essen langsam zu beginnen. Das war für mich keine Option. Ich wollte das Essen mit dem größten vorstellbaren Anti-Soylent-Potential.

Bei meinen ersten Bissen war ich euphorisch und spürte die Endorphine in meinem Körper. Der Saft des bestellten gegrillten Hühnchens fühlte sich wunderbar an, wie er langsam durch meine Speiseröhre wanderte. Rob, der uns zum Festmahl nach meiner Diät begleitete, führte währenddessen ein Gespräch über die Zukunft unserer Ernährungstechnologien. Ich saß für eine halbe Stunde einfach nur überwältigt am Tisch, und hatte jegliche Idee einer Welt ohne Essen aus meinem Kopf verbannt. Für einige Minuten jedenfalls, war mir die Zukunft vollkommen gleichgültig und ich war nur bestimmt von der geschmacklichen Erfahrung der Gegenwart.